Dieses heimlich aufgenommene Foto zeigt die Deportaion von Juden in der Kippenheimer Poststraße. Foto: privat

Vor genau 80 Jahren, am 10. August 1942, verließ der erste Deportationszug französischen Boden mit dem Ziel Auschwitz. Mit ihm wurden badische Jüdinnen und Juden aus dem Lager Gurs im Vorland der Pyrenäen ins Vernichtungslager gebracht.

Ortenau - 5600 Jüdinnen und Juden aus Baden und 800 aus der sogenannten "Saarpfalz" hatten die Gauleiter Robert Wagner (Baden) und Josef Bürckel (Saarpfalz) am 22. Oktober 1940 nach Frankreich abschieben lassen. Auch im Landkreis Lahr wurde der Befehl befolgt: 124 jüdische Menschen wurden mit Lkws zum Bahnhof Offenburg und von dort mit einem Sonderzug nach Südfrankreich verbracht. In Kippenheim wurde die Abholung der 31 noch in Kippenheim lebenden Jüdinnen und Juden sogar fotografiert. Eines der Fotos zeigt Max und Fanny Valfer aus der Poststraße beim Besteigen eines Pritschenwagens.

Die von der geheim gehaltenen Aktion überrumpelte Vichy-Regierung führte die insgesamt neun Sonderzüge in die Nähe des "Camp der Gurs". Die Verhältnisse in diesem Barackenlager waren katastrophal. "Ich kann es immer noch nicht fassen, dass wir so arm und hilflos geworden sind", schrieb Fanny Valfer ihren in den USA lebenden Verwandten, als die Lagerleitung den Internierten gestattete, Briefe in die USA zu schicken.

Kurt Salomon Maier (Washington DC), der bei seiner Abholung zehn Jahre alt war, bezeichnet Gurs als "Wartesaal für Auschwitz" – dieser Zusammenhang ergab sich allerdings erst mit dem Bau des Mordlagers im Winter 1941/42. Gurs selber war kein Vernichtungslager, wie ein überlebender Zeitzeuge aus Konstanz berichtete: "Alles befand sich unter französischer Verwaltung, die keinerlei Interesse daran hatte, uns Juden schlecht zu behandeln. Die Franzosen wollten uns gar nicht. Sie mussten uns einfach aufnehmen."

Wer es aus Gurs nicht mehr heraus schaffte, saß in der Falle

Wer im Besitz der notwendigen Papiere war konnte bis Sommer 1942 legal auswandern, allerdings nur in Länder, mit denen Deutschland nicht im Krieg lag. Dazu zählten bis zum Dezember 1941 auch die USA, das wichtigste Zielland der Internierten. Einige Deportierte hatten noch in Deutschland eine Registriernummer für die Einwanderung in die USA erworben, auf deren Aufrufung sie nun sehnsuchtsvoll warteten.

Ewa zehn Prozent der Badenerinnen und Badener gelang es, auf diese Weise legal auszuwandern, andere verließen das Lager auf illegalen Wegen, versteckten sich in französischen Heimen und Klöstern oder flohen in die Schweiz.

Wer es nicht schaffte, aus Gurs herauszukommen, saß in der Falle – wie Fanny Valfer und ihr Mann Max. "Als ich hier ankam, rechneten wir damit, nach vier Wochen in die Vereinigten Staaten abzureisen. So hat es nicht geklappt", schrieb sie ihrem Sohn Karl nach Chicago. Obwohl das Ehepaar alle für eine Visaerteilung notwendigen Papiere besaß, scheiterte es an der Bürokratie der amerikanischen Einwanderungsbehörde. Karl Valfer hatte alles darangesetzt, seine Eltern in die USA zu holen. Als das Washingtoner "Interdepartmental Visa Review Committee" Ende Juli 1942 schließlich grünes Licht erteilte, schrieb er ihnen voller Hoffnung: "Ich kann vor Freude kaum arbeiten", doch als seine Nachricht Mitte August im Lager eintraf, waren sein Eltern schon nach Auschwitz deportiert.

Ab August 1942 wurde Juden aus Gurs deportiert

Im ersten Halbjahr 1942 vollzog sich der Übergang von der Vertreibung der Juden zu ihrer Vernichtung. Auf der "Wannsee-Konferenz" am 20. Januar 1942, an der hohe nationalsozialistische Funktionäre unter dem Vorsitz des obersten SS-Führers Reinhart Heydrich teilnahmen, ging es nur noch darum, den Massenmord zu organisieren.

In einer von SS-Obersturmbandführer Adolf Eichmann, dem Leiter des "Judenreferates" im Berliner Reichssicherheitshauptamt, geleiteten Besprechung am 11. Juni 1942 berichtete Theodor Dannecker, Eichmanns Verbindungsmann in Paris, über die Mitwirkung der Vichy-Regierung bei den bevorstehenden Deportationen: "Die französische Regierung hat sich bereit erklärt, zunächst 3000 bis 4000 staatenlose Juden, die sich z. Z. in französischen Internierungslagern im unbesetzten Gebiet befinden, zum Zwecke des Abtransportes nach Auschwitz noch vor Mitte August zur Verfügung zu stellen."

Ab dem August 1942 wurden auch die im Lager Gurs internierten Jüdinnen und Juden in die "Endlösung" einbezogen. Am 6. August 1942 umstellte die gefürchtete "Schwarze Garde" (französische Nationalpolizei) das Lager. Der Emmendinger Gurs- und Auschwitzüberlebende Rolf Weinstock war Zeuge der Panik, die daraufhin ausbrach: "Alle sahen den Untergang vor Augen. Niemand wollte in das Ungewisse hinein. In wenigen Stunden war das Hospital von Menschen überfüllt, die versucht hatten, sich Hals- oder Pulsschlagadern zu öffnen, und die nur im letzten Augenblick noch vor dem Verbluten gerettet werden konnten."

Dieser erste Transport aus Gurs setzte sich zum größten Teil aus badischen Jüdinnen und Juden zusammen. Er erreichte am Nachmittag des 7. August 1942 Drancy. Am 10. August 1942 – heute vor 80 Jahren – wurde der gleiche Personenkreis von diesem Sammellager mit dem Zug nach Auschwitz weitergeleitet. Die Internierten ahnten, was sie erwartete. Dies lässt sich aus den Briefen herauslesen, die sie vor der angekündigten Abholung an ihre ins Ausland emigrierten Kinder verschicken durften.

Ella Wachenheimer verabschiedet sich von ihrer Tochter Hedy

Die Kippenheimerin Ella Wachenheimer sendete einen Abschiedsbrief am 1. September an ihre Tochter Hedy: "Jetzt geht von hier wieder ein Transport weg und diesmal bin auch ich dabei. Meine einzige Hoffnung ist, dass ich Ib. Papa doch noch treffe und will ich dann unser Los, wenn es auch schwer sein sollte, doch mit Würde und Mut tragen. Mein liebes, gutes Kind, ich versuche auf jede Art, wenn es geht, weiter mit Dir in Verbindung zu bleiben, aber es wird wohl lange dauern bis wir gegenseitig hören." Am Ende ihres Briefs steht der Satz: "Vergesse Deine lb. Eltern nicht". Diese Bitte begleitete Hedy Wachenheimer (verheiratete Epstein) ihr ganzes Leben.

Ihre Eltern Hugo und Ella Wachenheimer hatten sich im Mai 1939 dazu durchgerungen, sie mit einem Kindertransport im Mai 1939 nach England zu schicken. Sie hatten erkannt, dass für sie als Familie eine Auswanderung nicht mehr möglich war. Die Fünfzehnjährige litt unter der Entscheidung ihrer Eltern. Erst Jahre später erkannte sie, "dass sie mir damit mein Leben gerettet hatten", wie sie in ihrer 1999 erschienenen Autobiografie "Erinnern ist nicht genug" schrieb. Lange wollte sie nicht wahrhaben, dass auch ihre Eltern dem Vernichtungswahn der Nationalsozialisten zum Opfer gefallen waren: "Ich hoffte immer noch, meine Eltern würden zu den wenigen Überlebenden gehören und glaubte weiterhin, dass wir uns wiedertreffen würden, eines Tages, irgendwo."

Protest gegen unmenschliche Behandlung

Viele Französinnen und Franzosen waren bestürzt über die unmenschliche Behandlung der jüdischen Bevölkerung durch die deutsche Besatzungsmacht und ihre französischen Helfer. Jules-Géraud Saliège, der Erzbischof von Toulouse, machte sich zu ihrem Sprachrohr und verurteilte am 23. August 1942 in einem in seiner Diözese öffentlich verlesenen Hirtenbrief die Mitwirkung seiner Regierung bei den Deportationen: "Die Juden sind Männer, die Jüdinnen sind Frauen, wie die Ausländerinnen Männer und Frauen sind. Sie gehören zum menschlichen Geschlecht; sie sind unsere Brüder wie alle anderen."

Der französische Regierungschef Pierre Laval verteidigte in Gesprächen mit den Vertretern der Kirchen die Deportationen als notwendig, konnte den öffentlichen Protest aber nicht mehr ignorieren. Am 2. September 1942 bat er die die Vertreter der deutschen Besatzungsmacht, "ihm im Hinblick auf die hohe Geistlichkeit, keine neuen Forderungen auf dem Gebiet der Judenfrage zu stellen".

Die Intervention der Kirche führte zwar nicht zur Einstellung der Transporte, verlangsamte und reduzierte sie aber. Dennoch kamen zwischen 1942 und 1944 etwa 2200, rund 40 Prozent der am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportierten badischen Jüdinnen und Juden, in Auschwitz ums Leben – von den Deportierten aus dem Landkreis Lahr um die 50 Prozent.

Der Autor

Jürgen Stude ist Gründungsmitglied und seit 2003 Vorsitzender des Fördervereins Ehemalige Synagoge Kippenheim. Der gelernte Heim- und Jugenderzieher, der ursprünglich aus dem Raum Karlsruhe stammt und heute in Neuried zuhause ist, war bis 2019 Landesjugendreferent der evangelischen Landeskirche in Karlsruhe. Er hat zahlreiche Publikationen über die Lokalgeschichte der Juden veröffentlicht, zum Beispiel 2018 gemeinsam mit Dieter Petri und Bernd Rottenecker das Buch "Jüdisches Leben in der Ortenau".