Große Zuhörer-Schar: Seit fast zwei Jahren veranstaltet Anette Franz (rechts) in der Lahrer Innenstadt Demos gegen die Corona-Maßnahmen. Die Stadt prüft nun, ob sie das weiterhin darf. Foto: Schabel

Lahr - Anette Franz droht Ärger mit der Justiz. Grund sind Nazi- und Juden-Vergleiche im Zusammenhang mit den Corona-Maßnahmen und dem Impfen. Ein Arzt will sie anzeigen, die Stadt prüft, ob der Medizinerin ihre wöchentlichen Kundgebungen in Lahr untersagt werden. Die Staatsanwaltschaft ist bereits aktiv geworden.

Was ist passiert?

Franz hat am Montag eine E-Mail an die LZ geschrieben. In dem "Leserbrief" erklärte sie zum wiederholten Mal, warum sie am Samstag das offene Gesprächsangebot der Lahrer Verwaltungsspitze zur Corona-Politik ausschlug (wir berichteten). In einem Satz richtete sie sich auch an Joachim Götz aus dem Leitungsteam des Lahrer Impfzentrums. Der hatte bei der Veranstaltung auf dem Rathausplatz berichtet, dass ihn radikale Impfgegner schon als "Mörder" bezeichnet hätten. Franz dazu: "Beeindruckt hat mich, dass Herr Dr. med. Joachim Götz den Schuldspruch aller Impf-Ärzte im zukünftigen Nürnberger Prozess bereits jetzt so klar formuliert hat." Eine Gleichstellung also mit den Hauptkriegsverbrechern der NS-Diktatur.

Wie reagiert Joachim Götz?

"Völlig fassungslos." Der frühere HNO-Arzt kündigte gegenüber der LZ an, Strafanzeige gegen Anette Franz zu stellen und den Sachverhalt an den Justiziar im Landratsamt weiterzuleiten. Denn: "Diese Aussage diffamiert alle am Impfen beteiligten Mitarbeiter aufs Schlimmste, von den ehrenamtlichen Helfern bis zum Impfarzt." Der Vergleich mit Nazi-Schergen, die nach dem Zweiten Weltkrieg der Tötung von Millionen Menschen schuldig gesprochen wurden, "überschreitet die Grenze des Ertragbaren", so Götz.

Was macht die Staatsanwaltschaft?

"Wir prüfen die Aussage auf strafrechtliche Inhalte", erklärte Behördensprecher Dominik Nassall auf Nachfrage. Ob ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werde, entscheide der Dezernent für politisch motivierte Straftaten. Infrage käme unter anderem der Tatbestand der Volksverhetzung. Gegenstand der Prüfung wird auch ein Beitrag Franz’ im Nachrichtendienst Whatsapp sein. Zu einem Bericht über die Aufhebung der 3 G-Regel im Einzelhandel hatte sie geschrieben: "Bin erleichtert, dass Juden nun wieder einkaufen dürfen! Gott sei Dank wiederholt sich 1933 nicht!!"

Was sagt die Stadt Lahr?

Franz veranstaltet seit nunmehr fast zwei Jahren jeden Samstag Demos gegen die Corona-Maßnahmen in der Lahrer Innenstadt. Ob diese nach der Aussage gegenüber Joachim Götz weiterhin genehmigt würden, werde nun geprüft, teilte die Stadt auf Anfrage mit. "Eine maßgebliche Rolle bei der Bewertung wird spielen, ob die Äußerungen aus Sicht der Staatsanwaltschaft einen Straftatbestand darstellen. Die Stadtverwaltung hat den Sachverhalt an die Polizei weitergeleitet." Allerdings seien die Hürden, das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit einzuschränken, "aus guten Gründen sehr hoch". Grundsätzlich distanziere man sich "in aller Entschiedenheit" von Äußerungen, die Helfer in der Corona-Pandemie in einen Kontext mit NS-Kriegsverbrechern oder anderen Verantwortlichen nationalsozialistischer Gräueltaten stellten, so die Stadt. OB Markus Ibert dankt Götz für sein "beispielhaftes Engagement": Er habe wesentlich dazu beigetragen, ein kontinuierliches Impfangebot für Menschen aus Lahr und dem Umland sicherzustellen.

Info: Gerichtsakte

Sollten ihre Aussagen zu strafrechtlichen Ermittlungen führen, wäre es nicht das erste Mal, dass Anette Franz mit dem Gesetz in Konflikt gerät. Im Dezember vergangenen Jahres verurteilte das Amtsgericht die Lahrer Medizinerin wegen der Ausstellung falscher Masken-Atteste zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro. Franz hat Berufung zum Offenburger Landgericht eingelegt. Anfang dieses Monats scheiterte Franz mit einer Klage gegen das Land Baden-Württemberg. Nachdem sie in einer Zeitungsanzeige das Infektionsschutzgesetz mit dem Ermächtigungsgesetz gleichgesetzt hatte, war ihr als Ärztin an der Lahrer Polizeihochschule gekündigt worden. Die Richterin des Landesarbeitsgerichts in Freiburg ließ eine Revision zum Bundesarbeitsgericht nicht zu.

Kommentar: Genau hinhören
Felix Bender

Die LZ gab Anette Franz die Chance zurückzurudern. Doch das Angebot, ihre Äußerungen gegenüber Joachim Götz und allen anderen Impfärzten noch einmal zu überdenken, lehnte sie entschieden ab. Nach nicht einmal einer Viertelstunde Bedenkzeit schrieb sie: »Ja, ich stehe hinter meinem Leserbrief.« Wer gegen das Coronavirus impft, ist ein Massenmörder –  nicht anders kann man ihre Aussage deuten. Eine unsägliche verbale Entgleisung einer Ärztin, die  einst für ihre Fachkompetenz und Menschlichkeit von einer Vielzahl von Patienten geschätzt wurde. Es ist bedenklich, dass sie Woche für Woche  Dutzende Zuhörer um sich schart – und mutmaßlich nachhaltig in ihrem Denken beeinflusst. Die Stadt tut gut daran, die Entscheidung, ob die Samstagsdemos weiterhin stattfinden dürfen, nicht übers Knie zu brechen. Aber ab sofort sollten die für Recht und Ordnung Verantwortlichen  ganz genau hinhören, wer was sagt, und nicht zögern, einzuschreiten, wenn der Boden  der Rechtsstaatlichkeit auch nur für den Bruchteil einer Sekunde verlassen wird.