Am Abend des 26. September 1980 explodiert am Haupteingang der Wiesn in München eine Bombe. 211 Festgäste werden dabei verletzt, 13 sterben. Unser Bild zeigt, wie ein Sarg vom verwüsteten Tatort weggetragen wird.Foto: Leonhardt Foto: Lahrer Zeitung

Interview: Ortenauer hat Münchner Oktoberfest-Attentat und Pariser Anschläge hautnah miterlebt

Ac hern/München. Der damals 18-Jährige Ralf Kiefer war hautnah mit dabei, als am Abend des 26. September 1980, vor genau 40 Jahren, gegen 22.19 Uhr am Haupteingang der Wiesn in München eine Bombe mit TNT-Sprengstoff explodierte. 211 Festgäste wurden verletzt, 13 starben. Auch der 21-jährige Bombenleger Gundolf Köhler aus Donaueschingen kam ums Leben. Schnell stand fest, dass Köhler alleine und aus privaten Motiven handelte. Im Interview mit unserer zeitung spricht der heute 58-Jährige Acherner Ralf Kiefer über jenen Tag im September 1980 und verrät, dass er nicht nur einen Schutzengel in seinem Leben hatte.

Herr Kiefer, wo befanden Sie sich zum Zeitpunkt der Detonation?

Im Paulaner-Festzelt. Das war damals vom Haupteingang des Oktoberfestgeländes das zweite oder dritte Zelt auf der rechten Seite in der Wirtsbudenstraße. Wir standen direkt an der Bühne, als wir den Knall hörten. Wir waren vom Geschehen etwa 200 Meter entfernt, wussten aber nicht, was los war. Es hieß aber gleich, dass eine Bombe hochgegangen sei.

Was ist anschließend passiert?

Alle Festbesucher sind fluchtartig aus dem Zelt geströmt. Wir waren die Letzten, weil wir von der Bühne aus den weitesten Weg bis zum Eingang des Festzelts hatten. Die Polizei war da noch nicht präsent, um für Ordnung zu sorgen. Ich schätze, es hat fünf bis zehn Minuten gedauert, bis wir durch das Gedränge zum Haupteingang kamen. Dort sahen wir Blaulicht. Vom Festgelände strömten immer mehr Menschen. Dann sind wir alle vom Platz zwischen Haupteingang und Bavariaring verwiesen worden. Ich wollte nur noch weg.

Welcher Anblick bot sich Ihnen?

Ich habe Leute in der Dunkelheit am Boden liegen sehen. Ob sie tot waren oder nicht, habe ich nicht genau gesehen. Das war erschreckend. Wir sind dann in ein Taxi und in die Innenstadt gefahren. Etwa gegen 23 Uhr sind wir in den Mathäser, einem Bierausschank. Aber die Stimmung war dann weg. Wir waren sehr traurig. Dass es sich um einen Bombenanschlag gehandelt hat, habe ich am nächsten Tag aus der Bild-Zeitung erfahren. Das kann man mit den Anschlägen in Paris nicht vergleichen.

Inwiefern Paris?

Im November 2015 bin ich mit Freunden aus Baden und dem Elsass zum Länderspiel Frankreich gegen Deutschland nach Paris gereist. Es war die 17. Spielminute, als ich einen Riesenknall hörte. Dann hieß es, dass Terroristen das Stadion stürmen wollten. Ich bin über alle Tribünensitze gestiegen und dann über die Bande gesprungen. Ich stand mitten auf dem Platz und habe gezittert wie noch nie in meinem Leben. Später erfuhren wir, dass der Attentäter dieselbe Treppe benutzen wollte, um ins Stadion zu kommen, wie wir und sich selbst in die Luft gesprengt hat. Das war genau an der Stelle, wo wir nur wenige Minuten zuvor gewesen sind.

Wie erklären Sie sich das viele Glück im Unglück?

In Paris verhinderte ein Kontrolleur, dass der Attentäter ins Stadion kam. In München war mein Freund Michael "Mille" Huber die Rettung. Er sagte, wir treffen uns nicht am Ausgang wie das fast alle Cliquen machen, sondern an der Bühne im Festzelt, dann können wir noch einen Abschlusstrink nehmen. So haben wir es auch gemacht und das war unsere Rettung.

Haben Sie die Ermittlungen zum Oktoberfestattentat verfolgt?

Nein, das habe ich nicht wollen. Das bringt mir auch nichts. Ich habe unwahrscheinliches Glück gehabt. Es ist für mich vorbei. Man hört und sieht so viel Negatives, wenn man die Nachrichten anschaut. Warum soll ich mir das auch noch antun? Es geht mir manchmal besser, wenn ich den Fernseher auslasse.

Waren Sie seither auf der Wiesn?

Ja, ein- oder zweimal.

Wie war das für Sie?

Ich habe meine Erlebnisse von damals ausgeblendet. Bis heute habe ich keine Angstgefühle oder Platzangst. Toi, toi, toi.

Neigen Sie heute mehr zur Vorsicht?

Das Ereignis von damals hat mich sehr betroffen, aber vorsichtiger bin ich nicht geworden. Ich will mein Leben einfach weiterleben und habe keine Berührungsängste. Ich habe mehr Angst um meinen Sohn, der wie auch ich gerne auf Konzerte geht. Ich nehme mich selbst nicht so in Schutz und denke mehr an Terroranschläge, wenn mein Sohn auf einem Konzert ist.

Wie verbringen Sie den Samstag, wenn sich der Tag des Oktoberfests jährt?

Ich werde schön essen gehen und meinen zweiten Geburtstag feiern. Fragen von Markus Vögele

H inweise einer Zeugin auf der Wiesn auf mögliche Mittäter oder Hintermänner führten 2014 zur Wiederaufnahme des Verfahrens – ohne Erfolg. Im Juli stellte die Generalbundesanwaltschaft die Ermittlungen erneut ein, mit dem Ergebnis: Der Attentäter handelte aus einer rechtsextremistischen Motivation. Opferanwalt Werner Dietrich warf im Nachgang die brisante Frage auf, "inwieweit der heutige Rechtsterrorismus durch adäquate Reaktionen damals auf geheimdienstlich eruierte Tatbestände früher erkannt oder hätte verhindert werden können". Sie wird offen bleiben.