Alexander W. in seiner Behausung, die er sich in einem Schrebergarten eingerichtet hat. Foto: Schabel

In Lahr fehlen vor allem günstige, kleine Wohnungen für Menschen mit schmalem Geldbeutel. Unsere Redaktion stellt einen Betroffenen vor, der unter extremen Bedingungen in einem Schrebergarten haust, da er keine andere Bleibe findet.

Lahr - Der Weg zu Alexander W. führt raus aus Lahr, zu einer Kleingartenanlage vor den Toren der Stadt, in der man eigentlich nicht wohnen darf. Doch der 46-Jährige lebt dort schon seit 2015 – er habe keine andere Wahl, sagt er. Einmal sei die Polizei da gewesen und habe ihn zum Verlassen des Gartens aufgefordert – aber er sei geblieben.

Seine Bleibe ist weniger als eine Gartenhütte – es ist eine Art Verschlag. Die Wände bestehen aus grauen Plastikplanen und Decken, der Boden aus nackter Erde. Seine etwa eineinhalb Meter breite und gut vier Meter lange Behausung hat W. auf einem früheren Gemüsebeet errichtet, der schmale Mittelgang war früher der Weg zwischen zwei Beeten. Von außen sieht das Ganze aus wie ein kleiner Bunker. Der fensterlose Bau ist blickdicht, aber nicht wasserdicht, bei Regen wird’s drin schnell feucht.

Die Wände bestehen aus Plastikplanen

Sechs Winter hat der 46-Jährige mittlerweile unter diesen Bedingungen zugebracht. Wie hält er das aus? Wenn es kalt werde, liege er im Bett, unter mehreren Decken, erzählt W. dem Textautor. Was macht er den ganzen Tag? "Nichts", erwidert er. Gesundheitlich gehe es ihm nicht schlecht, er sei körperlich fit, sagt er. Er würde sehr gern arbeiten, als Gärtner, und habe sich deshalb auch bei Leiharbeitsfirmen vorgestellt. Aber es sei schwer, etwas zu finden, wenn man keine Meldeadresse hat.

Beim Besuch unserer Zeitung ist W. anzumerken, dass seine prekären Lebensumstände Spuren bei ihm hinterlassen haben. Er wirkt traurig und verbittert, fängt schnell zu schimpfen an, vor allem über seine Ex-Frau, die sich auch nach der Trennung von seinem Konto bedient habe. Er sei verschuldet, sagt er.

Alexander W. ist in Russland geboren und 1995 nach Deutschland gekommen. Er sei gelernter Koch, habe in Lahr in einer Pizzeria und einem Restaurant gearbeitet, erzählt er. Auch als Lkw-Fahrer und Landschaftsgärtner sei er zeitweise tätig gewesen.

Im Obdachlosenheim hat er es nicht ausgehalten

Der Bruch in seinem Leben kam mit dem Tod seines Bruders. Mit ihm hatte W. sich eine Wohnung geteilt, deren Miete er allein nicht mehr stemmen konnte. Seine erste Station danach war das Obdachlosenheim in der Lahrer Biermannstraße, in dem seinen Angaben nach aber raue Sitten herrschen, vorsichtig formuliert. Nachdem ihm dort sein letztes Geld und Lebensmittel gestohlen worden seien, sei er ausgezogen – und werde nicht zurückkehren.

Ein Bekannter hat ihm erlaubt, auf einem brachliegenden Gartengrundstück eine Behausung zu errichten. Dort lebt W., etwa einen Kilometer von der Lahrer Stadtgrenze entfernt. Er bezieht Sozialleistungen, bekommt montags, mittwochs und freitags jeweils 20 Euro in bar im Café Löffel ausbezahlt. Damit kauft er sich Lebensmittel.

In seiner Bleibe hat er einen Gaskocher, auf dem er etwa Hackfleisch und Nudeln "auf kasachische Art" kocht, wie er sagt. Ein benzinbetriebener Generator erzeugt Strom, mit dem er einen alten Fernseher zum Laufen bringt. Auch einen Ofen hat er – bei knackiger Winterkälte hilft der ihm in seiner zugigen Unterkunft aber nur wenig. Er würde sehr gern in eine Einzimmerwohnung ziehen, eine Arbeit aufnehmen und ein normales Leben führen, sagt W. dem Textautor zum Abschied.

Im Café Löffel bekommt er eine warme Mahlzeit

Menschen in seiner Lage werden in Lahr nicht alleingelassen. Sein fester Anlaufpunkt ist das Café Löffel, in dem der 46-Jährige eine Mahlzeit bekommt und duschen kann. In der Sozialeinrichtung für Wohnungslose und Menschen in Not gibt es Betreuer, die sich um ihn kümmern und ihn dabei auch bei der Wohnungssuche unterstützen. An sich hat nämlich in Deutschland jeder Mensch das Anrecht auf ein Dach über dem Kopf, das gilt auch für Empfänger von Sozialleistungen. Die Miete für eine angemessene kleine Wohnung für W. wäre kein Problem – die würde das Amt übernehmen.

Jedoch – in Lahr gibt es viel zu wenige Wohnungen dieser Art, wie Martin Schneider aus der Leitung des Café Löffel im Gespräch mit unserer Redaktion erzählt. W. sei kein Einzelfall, er wisse von 15 bis 20 weiteren Betroffenen, die unter ähnlichen Bedingungen hausen, teilt der Diplompsychologe mit. Ein Wohnungsloser lebe zum Beispiel seit 18 Jahren im Wald zwischen Lahr und Seelbach.

Im Gespräch wirbt Schneider um Verständnis für die Lebenssituation von Obdachlosen. Diese seien häufig unverschuldet in Not geraten, zum Beispiel durch den Verlust des Arbeitsplatzes, Trennung vom Partner oder der Partnerin oder durch Überschuldung. Es könne fast jeden treffen. Unter den Stammgästen des Café Löffel seien deshalb auch Menschen, die einmal gute Berufe hatten, dann aber durch einen Schicksalsschlag abgestürzt seien.

Info: 1000 Anfragen –  sieben Angebote

Erste Anlaufstelle für Wohnungssuchende in der Stadt ist die Wohnbau Lahr. Die 100-prozentige Tochter der Stadt vermietet insgesamt etwa 1400 Wohnungen. Zurzeit hat die Wohnbau  aber nur sieben Wohnungen zu vergeben, wie das Unternehmen am Freitag auf Nachfrage unserer Redaktion mitteilte. Demgegenüber haben sich bei der Wohnbau aber zwischen 950 und 1000 Menschen registriert, die eine Wohnung suchen. Sprich die Nachfrage in Lahr ist viel größer als das verfügbare Angebot. Besonders bei  kleinen Wohnungen ist der Markt ganz eng – die Wohnbau hat  lediglich  109 Einzimmer-Wohnungen in der Mietverwaltung. In Lahr sei die Nachfrage nach kleinen Wohnungen mit einem oder zwei Zimmern sehr groß, das Angebot dagegen klein, bestätigte Guido Echterbruch, der Geschäftsführer der Wohnbau Lahr, in einem Gespräch mit unserer Redaktion. 
 

Kommentar von Felix Bender:

Beschämend

Es ist nicht zu glauben, was unserer Redaktion beim Besuch im Café Löffel berichtet wurde. Bis zu 20 Menschen leben rund um Lahr unter schlimmsten, unwürdigen Bedingungen. Sie hausen in Hütten und Verschlägen, ohne fließendes Wasser und ohne Heizung. Es ist beschämend, dass sich diese Schicksale unter dem Radar der Öffentlichkeit abspielen. Nicht irgendwo, sondern mitten unter uns.

Dass der Druck auf dem Wohnungsmarkt groß ist, weiß jeder, der in den vergangenen Monaten und Jahren eine neue Bleibe gesucht hat. Ein Zimmer, Küche, Bad – selbst das ist mittlerweile kaum mehr günstig zu haben. In den Rathäusern und Gemeinderäten in der Region zerbricht man sich die Köpfe, wo neues Bauland aufgetan werden kann, um die Not zu lindern. Beim Blick auf die Geschichte von Alexander W. bekommt die Problematik eine ganz andere Dimension. Es geht um Selbstverständliches, das offenbar nicht mehr selbstverständlich ist. 260 neue geförderte Wohnungen entstehen derzeit in Lahr, sagt die Verwaltung. Viele, viele mehr müssen folgen.