Ende Dezember stimmte Joachim Riester erstmals im Alten Bahnhof mit seinen 84 Musikern "Kleine Choräle" von Bach und "Judas Maccabaeus" an. Foto: Steitz

Berufsdirigent leitet seit 20 Jahren Stadtkapelle / Doppelkonzert geplant

Wolfach . Joachim Riester fungiert seit 20 Jahren als Musikdirektor und Dirigent der Stadtkapelle Wolfach. Der 54-Jährige sucht häufig auf Youtube, MTV und Viva nach jugendlicher Inspiration. Sein musikalisches Handwerk hat er bei seinen Vorgängern Günter Belli und Dieter Küstler gelernt. Zuerst fühlte sich der Musikdirektor (MD) wie der Prophet im eigenen Lande. Das hat sich geändert.

Nicht jeder wird nach 20 Jahren im Berufsleben für seine Tätigkeit geehrt. Sie schon. Wie fühlt sich das an?

Dass ich geehrt werde, ist natürlich schön. Das freut mich, dass ich nach 20 Jahren die Wertschätzung bekomme. Das Doppelkonzert war meine Idee, dass wir das dann gemeinsam mit dem Prechtaler Musikverein machen, den ich seit 15 Jahren leite.

Nach 20 Jahren kann auch Bilanz gezogen werden. Haben Sie Ihre Ziele mit der Stadtkapelle erreicht?

Ziele erreicht man natürlich, aber setzt sich auch immer wieder neue. Ich versuche mir immer solche zu setzen, die erreichbar sind. Ziel ist nach wie vor, Musik auf hohem Niveau zu machen und zu halten. Die Ziele, die ich mir damals gesetzt hatte, als ich anfing, habe ich auch fast alle erreicht.

Welche waren das?

Damals lag die Jugendkapelle ziemlich am Boden. Da haben wir in den vergangenen Jahren wirklich geschafft, dass wir ein Jugendorchester mit 50 Musikern großgezogen haben, das auf einem sehr hohen Niveau spielt. Und dieses aufzubauen, war sehr wichtig, denn die Jugendkapelle ist Unterbau für den ganzen Rest nach oben bis hin zur Stadtkapelle. Die Besetzung ist ausgeweitet worden – durch Oboe und Fagott. Alle Register sind durchgängig sehr stark besetzt. Das war so ein bisschen die Frucht meiner Arbeit in den vergangenen 20 Jahren. Ziele in dem Sinn gibt es nach wie vor: Wir möchten in den nächsten zwei Jahren international bei einem Wertungsspiel antreten. Oder vielleicht eine zweite CD produzieren, wie 2008 anlässlich des 200-jährigen Stadtkapellen-Jubiläums.

Viele Vereine leiden unter Nachwuchsmangel. Wie sind Sie das angegangen? Wie kann man die Jugend heute noch begeistern und vor allem für Musik?

Wir hatten Glück. Als ich hier anfing, kamen halbe Schulklassen an, die Instrumente erlernen wollten. Und ich denke, wenn man solche Gruppen fangen kann und zusammen hochzieht, dann ist die Gefahr geringer, dass Einzelne abspringen oder die Bindung zum Verein fehlt. Ich muss natürlich die Literatur aus den Charts und Filmmusik oder Musicals spielen, um die Jugend heute zu begeistern. Wir hatten damals ziemlich Probleme im Waldhorn und dann fingen vier Schüler gleichzeitig an. Die habe ich gemeinsam in die Stadtkapelle hochgebracht. Ich denke diese Gruppendynamik ist wichtig. Oder man organisiert Gemeinschaftsaktivitäten, wobei dann nicht unbedingt die Musik im Vordergrund steht, sondern der Spaß.

Sind Sie als Dirigent gefordert, jugendlich zu bleiben? Kommen Jungmusiker mit Musikwünschen auf Sie zu?

Eine gewisse Jugendlichkeit, denke ich, muss ich mir mit Sicherheit bewahren. Das fängt damit an, dass ich mir auf Viva und MTV irgendwelche Videoclips anschaue und sehr häufig in Youtube unterwegs bin, um einfach auf Stand zu bleiben, was 15- und 16-Jährige heute so hören. Es ist natürlich nicht alles in Blasmusik umsetzbar, aber manche Sachen funktionieren. Dass jemand auf mich mit Musikwünschen zukommt, passiert auch und da bin ich immer offen. Mittlerweile kommt man über das Netz weltweit an Noten heran, was früher ein Unding war und das Ausprobieren erleichtert.

Seit 45 Jahren sind Sie bei der Stadtkapelle dabei. Sind Sie ein Stück weit mit der Kapelle gewachsen?

Ja, mit Sicherheit. Ich habe dort mit neun Jahren angefangen und Posaune beim Dirigenten Günter Belli gelernt. Es war ein bisschen anders als heute, wir hatten jeden Tag zwei Stunden Probe im Rathaus. Bei uns war es damals noch so: entweder Musik oder etwas anderes. Belli hat darauf bestanden, dass jeder täglich zur Probe erscheint. Viele fielen da durch den Rost. Aber die, die das durchgezogen haben, sitzen immer noch in der Kapelle drin. Dann war ich aufgrund meiner Ausbildung ein paar Jahre weg, aber wenn ich zurück in Wolfach war, spielte ich immer mit. 1997 bewarb ich mich als Dirigent und hatte Glück. Am Anfang war ich ein bisschen skeptisch, der Prophet im eigenen Lande, aber das hat sich geändert. Ich muss sagen, das Verhältnis ist sehr gut, und die Arbeitsbedingungen im neuen Domizil der Stadtkapelle könnten nicht besser sein. Wir arbeiten sehr konstruktiv miteinander, sind im ständigen Austausch und nur so kann es funktionieren. Ich bin jetzt nicht der Mann, der diktiert. Nein, ich würde sagen: eine "kollegiale Demokratur" (Anmerkung der Redaktion: Mischung aus Demokratie und Diktatur) oder so etwas Ähnliches.

Wie ist denn eine Probe mit Herrn Riester? Haben es die Musiker leicht, bei Ihnen zu reüssieren?

Nicht immer. Ich denke, ich bin ein recht fordernder Dirigent, der, wenn er etwas erarbeitet hat, erwartet, dass das Erarbeitete auch in der nächsten Probe abrufbar ist. Funktioniert natürlich nicht immer. Aber ich möchte natürlich in jeder Probe ein Stück weiter kommen. Ein gewisses Maß an Handwerk setze ich voraus. Trotzdem gibt es auch immer mal wieder viel zu lachen und es geht recht lustig in der Probe zu.

Auf welchen kuriosen Auftritt wollten Sie im Nachhinein nicht verzichten?

Kurios war sicherlich die Verabschiedung vom Bürgermeister Gottfried Moser im Dezember 2014, als er den großen Zapfenstreich bekommen hat. Wir standen bei Regen und Sturm vor dem Rathaus. Es war eigentlich fürchterlich. Ich habe es meinem Orchester dann hinterher gesagt: Das war eine Glanzleistung unter diesen Bedingungen. Wir waren nach fünf Minuten völlig durchnässt, aber wir haben den Auftritt professionell bis zum Schluss durchgezogen.

Verging die Zeit wirklich wie im Flug, wie das Motto des Doppelkonzerts "Tempus fugit" andeutet?

Wenn ich zurückschaue auf diese 20 Jahre, habe ich irgendwo immer noch mein erstes Jahr als Chef im Kopf. Das ist noch gar nicht so weit weg und was in diesen 20 Jahren alles passiert ist, ist schon Wahnsinn. Man denkt, dann immer, wo sind sie hin, die Jahre?

Auf was können sich die Konzertbesucher freuen?

Auf zwei hochmotivierte Orchester aus Wolfach und Prechtal, mit einer ausgewogenen Programmauswahl. Beide Orchester werden sowohl sinfonische Blasmusik als auch gehobene Unterhaltungsmusik spielen. Wir werden programmatische Werke spielen, bei denen sich der Zuhörer sehr gut die dazu gehörende Geschichte vorstellen kann. Verschiedene Solisten bei beiden Orchestern werden ebenfalls ihr Können zeigen. Ich denke es wird ein sehr interessantes und spannendes Konzert.

Was unterscheidet sich vom vergangenen Konzert in Prechtal zu Wolfachs?

Eigentlich nichts. Ich habe nur noch zusätzlich ein Stück mehr ins Programm der Stadtkapelle aufgenommen: eine Zusammenstellung von Melodien aus dem Film "Der Zauberer von Oz".

Die Fragen stellte Melanie Steitz.

Weitere Informationen: Doppelkonzert "20 Jahre MD Joachim Riester": beginnt am heutigen Samstag ab 20 Uhr in der Festhalle. Eintrittskarten kosten zehn Euro an der Abendkasse, der Einlass erfolgt ab 19 Uhr.

INFO

Biografie

Joachim Riester (54) ist gebürtiger Wolfacher. Seit 1972 ist er Mitglied der Stadtkapelle. Riester spielt Posaune und hat sich das Tenorhorn- und Gitarrenspiel autodidaktisch beigebracht. 1983 verließ er Wolfach, um seinen Wehrdienst und sein Musikstudium in Düsseldorf zu absolvieren sowie einige Zeit als professioneller Musiker tätig zu sein. 1997 kehrte er als Dirigent zurück und trat die Nachfolge von Dieter Küstler an. Er wurde vom Bund Deutscher Blasmusikverbände mit der Goldenen Ehrennadel für 40 Jahre aktive Tätigkeit ausgezeichnet. Auch die Freie Narrenzunft Wolfach ehrte ihn mit dem Wohlauforden und die Stadt für 40 Jahre.