Die Experten Claus Fleig (rechts) und Alexander Retze neben einem E-Bike. Foto: Dorn

Zwei Experten informieren 40 Gäste in den Beruflichen Schulen / Dreijähriger Selbstversuch im ländlichen Raum

Zwei Experten haben in den Beruflichen Schulen Wolfach über die "Mobilität heute und morgen" gesprochen. Ein Referent berichtete sogar von seinem seit drei Jahren andauernden Selbstversuch, den Arbeitsplatz in Wolfach Kohlenstoffdioxid-arm zu erreichen.

Wolfach . Die verschiedenen Facetten der "Mobilität heute und morgen" wurden am Mittwochabend in der Aula der Beruflichen Schulen Wolfach thematisiert. Der Förderverein der Gewerblichen Schulen hatte die Referenten Claus Fleig, Studiengangleiter Mechatronik an der Hochschule Offenburg, und Alexander Retze, Lehrer an den Beruflichen Schulen Wolfach, eingeladen. Sie beleuchteten das Thema, das durch die publik gewordenen Ziele des VW-Konzerns noch aktuell an Brisanz gewonnen hat.

Um es vorweg zu nehmen, auf dem Besucher-Parkplatz der Gewerblichen Schulen war am Mittwoch kein Tesla Roadster zu bestaunen und der Professor hatte auch das aktuelle Modell des "Schluckspechts" in der Hochschulgarage stehen lassen.

Fleig, an der Hochschule verantwortlich für das Schluckspecht-Projekt, bei dem Studierende einen Prototyp entwerfen und bauen, stellte den etwa 40 Zuhörern zunächst die aktuellen Entwicklungen in der Automobil-Industrie vor.

Getrieben von der Emissionsproblematik in einer immer urbaner werdenden Welt würden die Regierungen und Stadtverwaltungen den etablierten Automobilherstellern inzwischen eine Drohkulisse aufbauen, die dazu führen könnte, dass die schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts existierenden Technologien zur E-Mobilität die Verbrennungsmotoren ablösen könnten.

Eine der ersten Folien des Vortrags zeigte einen E-Porsche und einen Hybrid-Porsche aus dem Jahre 1900. Mit der zu bewegenden Masse von einer Tonne (E-Porsche) und 1,7 Tonnen (Hybrid-Porsche) waren die kleinen Elektromotoren natürlich noch heillos überfordert. Aber allein die Vorstellung, wie die Welt im 21. Jahrhundert aussähe, wenn sich diese Technologie gegen die damals noch unzuverlässigen Otto- und Dieselverbrennungsmotoren durchgesetzt hätte, lohnt des Nachdenkens.

Der Kohlenstoffdioxid-Ausstoß muss, so Fleig, bis 2020 von unrealistisch auf dem Rollenprüfstand gemessenen 130 Gramm pro Kilometer auf als "Real Driving Emissions" gemessene 95 Gramm pro Kilometer vermindert werden und jeder "Verstoß" werde mit 95 Euro Strafe je zusätzlichem Gramm sanktioniert.

Die Industrie wird auf allen Ebenen gefordert sein, diese Bedingungen zu erfüllen, so zum Beispiel bei Leichtbau, Verminderung der Reibungswiderstände, autonomen Fahren, Car-Sharing-Konzepte und der Umbau der Modellpalette weg von den SUV-Fahrzeugen hin zu Kleinstfahrzeugen sowie E- und Hybridmotoren.

Mit den Erfahrungen aus den Schluckspecht-Wettbewerben, schaffte es der beste dieselgetriebene Schluckspecht mit einem Liter Dieselkraftstoff auf 389 Kilometer. Der beste E-Schluckspecht kam mit einer Kilowattstunde über 600 Kilometer weit, erläuterte der Professor.

Die seit einigen Jahren alternativ verbauten Materialien Aluminium, Carbonfaser und Hochleistungsstahl würden die Fahrzeuge zwar leichter werden lassen, da sie in der Herstellung aber deutlich Kohlenstoffdioxid-aufwendiger produziert würden, müssten die daraus hergestellten Fahrzeuge eine weitaus längere Lebensdauer aufweisen, damit die Emissionsbilanz positiv ausfällt.

Selbstversuch mit S-Pedelec

"Hybrid- und Elektromotoren gehörten damit ganz klar die Zukunft", mit diesem Credo beendete Fleig nach 54 Folien seinen Vortrag und übergab an Alexander Retze, der über seinen jetzt schon drei Jahre andauernden Selbstversuch berichtete, den Arbeitsplatz in Wolfach möglichst Kohlenstoffdioxid arm zu erreichen.

Satte 50 Kilometer einfache Entfernung legt Retze jeden Tag vom Wohnort Freiburg bis zu seiner Arbeitsstätte in Wolfach zurück. Als Berufspendler ist er damit einem besonderen Gesundheitsrisiko ausgesetzt, denn Pendler neigen laut einer Krankenkassen-Studie zu Übergewicht und leiden unter Rückenschmerzen, Schlafmangel und psychischen Störungen.

Der Physik-, Elektrotechnik- und Ethiklehrer hat sich 2013 ein so genanntes S-Pedelec angeschafft und fährt seit dieser Zeit fast nicht mehr mit dem Auto zur Arbeit.

Auf dem Weg durch das Elztal, über die Heidburg und das Kinzigtal hat Retze täglich die Qual der Wahl, für welchen Verkehrsweg er sich heute entscheiden möchte. Die deutschen Gesetze und Verordnungen täten sich auch nach über fünf Jahren immer noch schwer mit der Einordnung des Verkehrsmittels "S-Pedelec", urteilte Retze. Ist es ein Fahrrad, weil der Fahrer nach wie vor treten muss und dabei aber bis zu 45 Stundenkilometer elektrisch unterstützt wird? Oder ist es aufgrund der höheren Geschwindigkeit doch ein Kleinkraftrad?

Reserve-Akkus mit dabei

Retze wählt flexibel den Weg, der ihn am schnellsten voran bringt: Bei Stau auf der Straße ist es der Radweg und bei großem Radverkehr zum Beispiel zwischen Hausach und Wolfach weicht Retze aus Rücksicht auf die Schüler auf die Straße aus.

Ausgestattet mit einem Reserve-Akku, der kurz nach der Heidburg zum Einsatz kommt, braucht Retze für eine Strecke eineinhalb Stunden. In der Pendlerbilanz stehen am Abend drei Stunden Aktiv-Urlaub gegen zwei Stunden Pendlerstress im Pkw in der notorischen Staustadt Haslach und dem Nadelöhr in Winden eingerechnet. Fazit: Die Rückenschmerzen traten noch seltener auf, der Schlafmangel verging und psychisch war Retze wieder komplett erholt. Nur mit dem Untergewicht nach dieser körperlichen Aktivität habe er anfangs zu kämpfen gehabt.

38 000 Kilometer in drei Jahren habe er dadurch gespart, so Retze. Sein Benzinverbrauch senkte sich auch von acht auf 2,1 Liter pro 100 gependelte Kilometer.

Perspektive auf dem Land

Retzes Initiative zeigt, dass auch im ländlichen Raum elektrobetriebene Fahrzeuge inzwischen eine Option sind. In der anschließenden Gesprächsrunde wurde diskutiert, warum die Elektromobilität bis auf die wenigen von den Energieversorgern zu Imagezwecken installierten Ladesäulen noch nicht im Tal angekommen sei.

Der Kindergarten- und Schulbus-Verkehr wäre als reiner Kurzstreckenverkehr auch mit den heutigen Batterie-Reichweiten gut machbar, befand so mancher. Einige Zuhörer hatten in Fleigs Vortrag die Brennstoffzellen-Technologie vermisst, die für die Autofahrer von der Bedienung her viel näher am konventionellen Kraftstofftankvorgang seien als die ausgedehnte Rastpause zum Aufladen der Batterien.

Die Vorstellung, mit der ganzen Familie in einem Fahrzeug zu sitzen, in dessen Unterboden ein unter 800 Bar Druck stehender Wasserstofftank verbaut ist, mag den Autokäufern heute noch ungeheuer vorkommen. Würde allerdings der Otto-Motor erst erfunden werden, wäre das Urteil der Öffentlichkeit wohl ähnlich vernichtend.

Ein Auto, betrieben mit in höchstem Maße krebserregenden Kohlenwasserstoffen, das dazu auch noch klimaschädliche Kohlenstoffdioxide und Stickoxide ausstößt, sei beileibe keine Zukunftstechnologie. Mit diesem letzten Impuls entließen die beiden Referenten unter großem Applaus ihr Publikum.