Die Seelbacher Darsteller toben wild durcheinander. Christian Peter Hauser überzeugte als Martin Luther . Foto: Baublies

Gelungene Premiere muss im Bürgerhaus stattfinden / Stimmungsvolle Inszenierung

Stehende Ovationen und volle Ränge: Die Premiere von "Martin Luther" bei den Seelbacher Freilichtspielen hat am Samstag aufgrund des schlechten Wetters im Bürgerhaus stattgefunden. Das bunte und laute Spektakel konnte durchweg überzeugen.

Seelbach. Das Stück "Martin Luther" hat keine Vorlage. Regisseurin Katja Thost-Hauser hat das Drama um den Reformator nach eigenen Recherchen geschrieben. Die Verkürzung des Lebenswerks und die Widersprüche der Person Luther hat sie dabei auf den ungeheuren Widerhall der 95 Thesen nach dem 31. Oktober 1517 und der Heirat Luthers (Christian Peter Hauser) mit Katharina von Bora (Verena Rohkohl) am 27. Juni 1525 verkürzt.

Am Ende der Vorstellung stellen Lucas Cranach (Siegfried Wacker) und seine Frau (Gisela Griesbaum) samt den Dienstboten (Greta Petersen und Kristina Fehse) die Frage, was man wohl in 500 Jahren noch von Luther überliefert habe werde. Genau diese Zeitspanne, von 1517 bis 1525, zeigt exemplarisch, was wir heute noch von Luther wissen und vor allem warum Luther bis heute so bedeutend ist.

Den Anfang machen die Donnerschläge, die die damaligen Drucker mit der ungeheuer schnellen Verbreitung der Thesen bewirkt haben. Der gut zweistündige historische Parforceritt handelt in schneller Folge den Reichstag zu Worms (1521), auf dem Luther nicht widerruft, die Tarnung als Junker Jörg auf der Wartburg samt der Bibelübersetzung (1521/1522) und die Bauernkriege (1524/ 1525) ab. Hier werden die auch heute noch umstrittenen Schriftstücke Luthers kurz angedeutet.

Neben der Genauigkeit des Buchs der Regisseurin ist die Art der Darstellung – zuerst am Samstag im Bürgerhaus und am Sonntag im Klostergarten – grandios gewesen. Die Geschichte ist modern erzählt, trotz der teilweise historischen Kostüme, die Jenny Thost unter anderem aus dem Fundus der Requisiten des Katharinenmarkts requiriert hat. Leben und Volk zu Wittenberg sind bunt, drall und quietschfidel. Das gesamte Ensemble – Laien aus Seelbach und Umgebung wie Profis aus Wien – haben am Wochenende an beiden Spielorten zwei insgesamt runde, glaubwürdige und tolle Vorstellungen dargeboten. Toll bedeutet im Ursprung übrigens großartig, ausgelassen dreist und wild. Alles passt.

Die Tollerei hatte aber – ohne irgendeinen der Darsteller zu schmälern – einige Spitzen. Der Teufel (Katja Thost-Hauser) schlüpft in drei Rollen: Einmal sucht er den Übersetzer auf der Wartburg samt drei gefallenen Engeln (Lara Schwörer, Britte Petersen und Kristina Fehse) heim. Der Auftritt des Quartetts war so überzeugend, dass es eigentlich verwundert, dass Luther auf den Seelbacher Bühnen nicht mit dem Tintenfass um sich geworfen hat. Der Teufel mischt sich zur Fasent unter das Volk und hat einen dritten Auftritt als Papst mit Luthers Gegenspieler Hieronymus Aleander.

Die Rolle des Teufels, sehr realistisch und wie immer bei Thost-Hauser schrill und grell dargestellt, war eine Klasse für sich. Das gesamte Ensemble aller Darsteller ist, trotz einer normalen Fluktuation bei den Laien, inzwischen zu einer festen Größe zusammen gewachsen. Dennoch war Gisela Griesbaum als "Zuckerschnecke und Hausdrache" Cranach samt ihrem "Pantoffelhelden" Siegfried Wacker, dem Maler, schon etwas Besonderes. Wer Alexander Schenke als Ablasshändler Johann Tetzel gesehen hat, der kann jetzt noch gut verstehen, warum Luther damals wider dem Ablass wetterte. Der nörgelnde, näselnde Bruno Thost (Kurfürst Friedrich der Weise) machte mit seiner Sprache sogar verständlich, warum der sächsische Amtsdialekt, den Luther für seine Übersetzung angewandt hatte, der Vorläufer der heutigen Schriftsprache ist. Diese Sprache hat jeder verstanden.

INFO

Das Konterfei

Der einzige Wermutstropfen bei der Premiere war, dass das festgezurrte überdimensionale Porträt Luthers nicht im Bürgerhaus aufgebaut werden konnte. Denn die Szene, in der das fehlende Teil des Mundes beim Abbild Luthers eingefügt wird, macht das Quäntchen aus, das die Vorstellung am Samstag von der des Sonntags unterschieden hat: Um 1525 wird Luther – als unbestrittener Kopf der protestantischen Bewegung – auch die Stimme der Reformation. Am Ende ist das Puzzle komplett und ergibt ein stimmiges Bild.