In Armeniens Hauptstadt Jerewan steht eine Gedenkstätte für die Opfer des Völkermords. Darin leuchtet das "ewige Feuer". Fotos: Doleschal Foto: Lahrer Zeitung

Anke Doleschal will über den Genozid in Armenien aufklären, ohne anzuklagen

Von Lena Marie Jörger

Seelbach. Das Grauen, das das armenische Volk im ersten Weltkrieg erleiden musste, ist nur schwer in Worte zu fassen. Seelbachs evangelische Pfarrerin Anke Doleschal versucht es trotzdem immer wieder. Sie will den Armeniern eine Stimme geben.

Iran, Syrien, Armenien – Anke Doleschal ist im Nahen Osten viel herumgekommen. Besonders Armenien hat es der Bezirksbeauftragten für Gemeindereisen im Kirchenbezirk Ortenau aber angetan. Gerade erst ist sie mit einer Gruppe aus der Ortenau von dort zurückgekehrt.

Für Doleschal war dieser Trip schon der dritte nach Armenien. Den ersten "Berührungspunkt" mit dem Land, hatte sie durch die Zeit in ihrer ehemaligen Gemeinde in Kehl-Auenheim. In Kehl gebe es eine große armenische Gemeinde. Wie Doleschal erzählt, sammelte sie damals zunächst für eine Reise in den Iran Spenden: Schokolade und Kaffee. "Eines Tages stand der Vorsitzende der armenischen Gemeinde, Hayik Parlar, vor meiner Tür", erinnert sich die Pfarrerin. Er habe 75 Kilogramm Schokolade dabeigehabt. Doleschal bat den Mann herein, und die beiden unterhielten sich. Am Ende waren es zwei Stunden. "Er erzählte mir vom Genozid an den Armeniern", erzählt Doleschal. "Da hatte die Geschichte für mich plötzlich ein Gesicht bekommen."

Brutale Morde

Der Völkermord begann 1915. In dem Jahr und in den Jahren darauf ließ das Osmanische Reich Hundertausende armenische Untertanen umbringen. Wie viele Menschen insgesamt den bestialischen Morden und Deportationen zum Opfer fielen, ist schwer zu sagen. Mal ist die Rede von 800 000 Toten, mal von 1,5 Millionen. Bis heute leugnet die Türkei den Genozid. Deutschland war im Ersten Weltkrieg Verbündeter des Osmanischen Reichs. Erst am Gedenktag dieses Jahres sprach Bundespräsident Joachim Gauck in diesem Zusammenhang von Völkermord.

Anke Doleschal ließ das Thema seit der Begegnung mit Parlar nicht mehr los. "Er war derjenige, der mir die Augen geöffnet hat", sagt sie. "Er hat mir die Zusammenhänge erklärt." Daraufhin plante sie ihre erste Reise nach Armenien.

Dieses Jahr flog sie zum dritten Mal hin. Zehn Tage lang reisten sie und 29 andere Teilnehmer durch das Land. "Der Schwerpunkt lag auf Jerewan", sagt Doleschal. Dort, in der Hauptstadt Armeniens, steht eine Gedenkstätte für die Opfer des Genozids. "Schwalbenfestung" heißt sie auf Deutsch und besteht aus einem markanten Obelisken. "Er ist zweigeteilt, weil das armenische Volk zweigeteilt ist", sagt Doleschal. "Es gibt etwa drei Millionen Inlandsarmenier und etwa sieben Millionen, die im Ausland leben", erklärt sie.

Während des Ersten Weltkreigs trieb das Osmanische Reich einen Großteil der armenischen Christen durch die Wüste Richtung Syrien. Die Deportationen wurden zu Todesmärschen. "Männer wurden gleich erschossen, viele Frauen vergewaltigt und dann getötet", berichtet Doleschal, was ihr erzählt wurde. Viele Kinder seien daraufhin allein weiter an den Euphrat geflohen. In Aleppo hätten sich Missionsschwestern verbotenerweise der vollkommen erschöpften Waisen angenommen, sie aufgepäppelt und mit Schiffen außer Landes gebracht.

Doch nicht nur die Vertreibung während des Ersten Weltkriegs sind Grund für die große Zahl an Armeniern, die im Ausland lebt. Im Iran leben auch viele gebürtige Armenier. "Schah Abbas ließ im 17. Jahrhundert viele Armenier nach Persien verschleppen", sagt Doleschal. Armenier seien schon immer sehr kunstfertig gewesen. "Der Schah wollte diese Gabe in sein Reich holen."

Für Anke Doleschal sind die Armenier ein "faszinierendes Volk": "Sie kämpften immer wieder ums Überleben – und kommen wie Phönix aus der Asche". Doch der ständige Kampf habe auch Spuren hinterlassen. "Armenier sind kein Volk, das lauthals lacht", sagt die Pfarrerin. Aber sie seien sehr weltoffen und gastfreundlich. "Armenier sein, heißt Christ sein", sagt Doleschal. "Außerdem sind sie wohl das Volk, das die Bibel am meisten verehrt." Allgemein spielten Bücher eine wichtige Rolle.

Bilder des Grauens

Während der zehntägigen Reise besuchte die Gruppe auch das Zentralarchiv Matenadaran, in dem kostbare alte Handschriften aufbewahrt werden. Derzeit ist dort außerdem eine Ausstellung von Bibeln zu sehen, die während des Genozids von ihren Besitzern versteckt wurden und so vor der Zerstörung gerettet werden konnten. "Die Menschen retten kein Geld, sondern die Bibel", sagt Doleschal. "Jedes dieser Bücher könnte eine Geschichte erzählen."

Genauso wie es die Bilder tun, die in der Gedenkstätte "Schwalbenfestung" gezeigt werden. "Ausgemergelte Menschen, Mütter, die vor ihren toten Kindern sitzen – wohin man in diesem Museum schaut: Jede Ecke ist voller Schrecken", berichtet Doleschal. "Wenn man diese Bilder sieht, wird es einem selbst bei 30 Grad eiskalt."

Wunsch nach Frieden

Die Pfarrerin merkte, dass sie über das Thema sprechen muss. "Die Armenier brauchen eine Lobby." Sie wolle aber niemanden anklagen, sondern über dieses dunkle Kapitel der armenischen Geschichte informieren. "Es ist meine Aufgabe als Pfarrerin, das auszusprechen, was gesagt werden muss." In Armenien sei der Völkermord ständig präsent – nicht nur im 100. Jahr danach: "Es ist eine Präsenz, die die Armenier in sich tragen", sagt Doleschal. Ihnen gehe es darum, mit der Türkei in Frieden zu leben. "Aber sie wollen, dass man anerkennt, was ihnen geschehen ist."

Die zehntägige Reise sei aber nicht nur vom Gedenken an den Genozid geprägt gewesen. "Wir haben auch lustige Sachen gemacht", etwa eine Cognacverkostung oder einen Besuch im Musik- und Staatstheater. "Jerewan gehört zu den schillerndsten Städten", findet die Pfarrerin. "Viele Menschen sagen, es muss Wien oder Berlin sein – aber für mich darf es auch gerne Jerewan sein!"

INFO

Vortrag

> Das Katholische Bildungswerk Seelbach lädt auf Mittwoch, 30. September, zu einem Vortrag zum Thema "Armenien - unentdecktes Juwel" ein. Dabei berichtet Anke Doleschal von der Reise durch das touristisch wenig erschlossene Land mit seinen weiten Landschaften und archaischen Kirchenbauten. Pfarrerin Anke Doleschal will auch Fotos zeigen. Der Vortrag im Pfarrheim St. Franziskus beginnt um 20 Uhr.