Fälle von Kindstötung erschüttern das Land immer wieder. Vielfach geraten danach die zuständigen Jugendämter in den Fokus – und in die Kritik. (Symbolfoto) Foto: Hildenbrand

Fall Alessio sorgt für Aufruhr. 514 Meldungen von Kindeswohlgefährdung aus dem Jahr 2014 werden überprüft.

Ortenau - Der Fall des dreijährigen Alessio, der im Januar in Lenzkirch (Kreis Breisgau/Hochschwarzwald) mutmaßlich von seinem Stiefvater getötet worden ist, hat für Aufruhr gesorgt. Das Landratsamt Ortenaukreis geht nun auf Nummer sicher und will alle Fälle von Gefährdung des Kindeswohls aus dem Jahr 2014 überprüfen.
Im vergangenen Jahr hat es nach Auskunft des Landratsamts 514 Risikoeinschätzungen zur Kindeswohlgefährdung gegeben, während es 2013 noch 470 gewesen waren.

Die hohe Zahl relativiert sich schnell: Bei 185 der gemeldeten Fälle wurden weder eine Gefährdung noch ein Hilfsbedarf festgestellt; bei 241 weiteren ein Hilfsbedarf. Das heißt: In 88 Fällen hat das Jugendamt eine Gefährdung des Kindeswohls festgestellt. Die hohe Zahl der Meldungen zeige, dass im Ortenaukreis bereits eine hohe Sensibilisierung für das Thema vorherrsche, findet Andras Linse, stellvertretender Leiter des Jugendamts.

Überwiegend gehen die Meldungen seinen Angaben zufolge aus dem direkten Umfeld der Familien ein. Ob telefonisch oder per E-Mail, anonym oder mit Namen, ist dabei zweitrangig – den Meldungen werde nachgegangen, Die Beurteilung jedes einzelnen Falles sei für die Beamten sehr schwierig, erläutert Linse im Gespräch mit der »Lahrer Zeitung«. Auf Basis eines Kinderschutzbogens würden bestimmte Grundbedürfnisse und die psychische Erscheinung des Kindes beurteilt: Wie ist das körperliche Erscheinungsbild, wie steht es um Kleidung und Körperpflege? Macht das Kind einen traurigen, zurückgezogenen, unruhigen Eindruck; schreit es, ist es aggressiv? Aber auch solche Parameter müssen von Fall zu Fall neu bewertet werden.

»Denn auch das zu beurteilende Kind kann schlicht einen schlechten Tag erwischt haben und beispielsweise schreien, weil es sein Wunschgetränk gerade nicht bekommt«, erklärt Linse. Ein schmaler Grat, den die Beamten hier vor sich haben – »deswegen ist es auch so wichtig, dass die Besuche immer von zwei unserer Mitarbeiter vorgenommen werden«, stellt Linse klar. So könne einer der Beamten das Gespräch mit den Erziehungsberechtigten führen, während der andere eher beobachtet und damit die Einschätzung der Gesamtsituation erleichtert.

Das Einordnen und Bewerten der Gesamtsituation sei eine der schwersten Aufgaben seiner Mitarbeiter, aber eben auch eine sehr wichtige. Die Priorität der Beamten ist aber klar der Kinderschutz. In der Regel falle die Entscheidung, wie im Einzelfall weiter verfahren werde, nach ein bis zwei Stunden. Akutfälle werden sofort dem Kinderarzt oder der Kinderschutzambulanz vorgestellt. Und wenn das Kind in der Familie bleibt? »Die Kollegen müssen aus einer Familie herausgehen und sich ziemlich sicher sein, dass das Kind eben nicht gefährdet ist«, stellt Linse klar.

Eine 100-prozentige Sicherheit gibt es nicht

Bei der Sitzung des Sozialausschusses in der vergangenen Woche räumte er aber ein, dass es keine 100-prozentige Sicherheit gebe. Parallel zur Überprüfung der bearbeiteten Fälle aus 2014 soll auch die Kommunikation innerhalb des Sozialamts – von der Meldung eines Falls bis hin zur Betreuung oder zum Schließen der Akte – unter die Lupe genommen werden.

Diese Prüfung sei bereits vor Bekanntwerden des Lenzkircher Falls angedacht gewesen. Dieser zeige allerdings, wie wichtig eine reibungslose Kommunikation sei, so Landrat Frank Scherer in der Sitzung des Jugendhilfeausschusses vergangene Woche. Linse erklärte gestern, die Prüfung der Akten habe bereits begonnen. Bis es dort zu einem Ergebnis komme, werde es allerdings noch dauern.