Asylbewerber, die noch keine 15 Monate in Deutschland leben, brauchen Behandlungsausweise. Erst später werden die Flüchtlinge bei Krankenkassen angemeldet. Foto: Karmann Foto: Lahrer Zeitung

Diskussion über Gesundheitskarte für ärztliche Behandlung im Ortenaukreis angekommen / Haftpflicht ist selten

Von Sabrina Deckert

Ortenau. Jeder kennt es: Einmal nicht aufgepasst und schon rollt der Einkaufswagen gegen ein anderes Auto. Oder: Man zerkratzt den Lack eines Autos am Straßenrand mit dem Fahrradlenker. Wer eine Haftpflichtversicherung hat, reicht den Schaden ein. Doch was machen Flüchtlinge, die nicht versichert sind? Und wie steht es um die Krankenversicherung?

Wer erst seit Kurzem in Deutschland ist, bekommt Leistungen gemäß des § 3 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG). Das heißt, dass das Migrationsamt dem Flüchtling einen sogenannten Behandlungsausweis für den Arztbesuch ausstellt. Die anfallenden Behandlungskosten trägt dann das Amt entsprechend den gesetzlichen Regelungen. Das alles ist in den §§ 4 und 6 des AsylbLG festgeschrieben.

Wenn ein Flüchtlinge seit 15 Monaten ohne wesentlichen Unterbrechungen in Deutschland gelebt hat, ist er ein Leistungsberechtigter nach § 2 des AsylbLG und bekommt daher Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch zwölf. Das besagt, dass er bei einer Krankenkasse angemeldet wird – und zwar von dem Sachbearbeiter für Flüchtlingssozialleistungen. Zwar besteht ein Kassenauswahlrecht, die meisten Flüchtlinge im Ortenaukreis melden sich aber laut Auskunft des Landratsamts bei der AOK Südlicher Oberrhein an. Diese kann aber laut Aussage einer Pressesprecherin nicht genau erfassen, wie viele Asylbewerber bei ihr angemeldet sind. Die Krankenkassen bekommen den Ersatz der vollen Aufwendungen für den Einzelfall und einen "angemessenen Teil ihrer Verwaltungskosten" erstattet, erklären die Experten des Migrationsamts. Das heißt: Der Versicherung entstehen keine Kosten und die Behandlungen der Flüchtlinge werden nicht mit dem von den Mitgliedern einbezahlten Beiträgen finanziert, sondern vom Amt. Sobald ein Flüchtling einen Job hat, ist er, wie jeder andere Arbeitnehmer auch, bei einer Krankenkasse pflichtversichert.

Gesundheitskarte

Das jetzige System stößt aber nicht bei allen auf Gegenliebe: Der Offenburger Grünen-Landtagsabgeordnete Thomas Marwein etwa fordert eine elektronische Gesundheitskarte der Krankenkassen für Flüchtlinge. Denn: Flüchtlinge, die neu in Deutschland sind und erst einen Behandlungsschein abholen müssen, müssten von Behördenmitarbeitern ohne medizinische Ausbildung beurteilen lassen, ob eine akute Erkrankung vorliegt oder nicht. "Mit der Gesundheitskarte können Flüchtlinge zum Arzt gehen, wenn sie akut erkrankt sind. Der Arzt entscheidet dann, ob und wie behandelt werden muss", erläutert Marwein. Das jetzige Prozedere sei "unnötige Bürokratie und bindet finanzielle Mittel, die anderweitig dringend gebraucht werden, etwa für Sprachkurse", so der Grünen-Politiker.

Eine andere, privat-unternehmerisch entwickelte Lösung nutzt Geestland (Landkreis Cuxhaven, Niedersachsen): die Gesundheitskarte der Firma Vitabook. Die kleine bunte Plastikkarte ist an keine Krankenversicherung gebunden und steht in mehreren Sprachen zur Verfügung. Geestland ist zwar die erste deutsche Stadt, die sich spontan für die Karte entschieden hat. Sie steht aber laut Informationen des Herstellers sofort allen zuständigen deutschen Behörden zur Verfügung und beinhaltet neben Stammdaten des Patienten auch sein Online-Gesundheitskonto und die interaktive, elektronische Patientenakte. Geführt würde sie vom Patienten selbst – in Zusammenarbeit mit seinen Ärzten. Die Kostenübernahme-bescheinigung für die Behörden und die Möglichkeit der direkten Abrechnung von Ärzten, Kliniken und Apotheken mit der zuständigen Kommune ist ebenfalls bereits enthalten, was den Zeitaufwand drastisch reduziert, wirbt Vitabook. Die einmaligen Herstellungskosten der Karte liegen je nach Stückzahl zwischen drei und fünf Euro. Für den Asylbewerber entstehen keine Kosten. Nur tatsächliche Behandlungskosten werden auf diese Weise bei den Ländern abgerechnet. Ob Baden-Württemberg und der Ortenaukreis sich diesem System anschließen, ist noch unklar.

Haftpflicht

Ganz anders sieht es bei der Haftpflichtversicherung aus. Zwar wird Flüchtlingen beim Migrationsamt geraten, so schnell wie möglich eine Haftpflichtversicherung abzuschließen – aber da es nicht verpflichtend ist und die Männer und Frauen mit jedem Euro rechnen müssen, machen es nicht alle. Angenommen ein Flüchtling verursacht auf einem Fahrrad einen Schaden an einem Auto – und er ist nicht haftpflichtversichert. Wie kann dem Autobesitzer der Schaden ersetzt werden – oder würde er darauf sitzenbleiben?

Das Migrationsamt rät in diesem Fall dem Autobesitzer, sich an seine eigene Haftpflichtversicherung zu wenden, wenn das der Vertrag hergibt. Oder der Betroffene wendet sich an den Verein Verkehrsopferhilfe. Das ist eine Einrichtung der deutschen Autohaftpflichtversicherer, die nach eigenen Angaben die "Funktion als Garantiefonds bei Unfällen in Deutschland übernimmt". "Der Garantiefonds ist eingerichtet worden, um letzte Lücken im Pflichtversicherungsgesetz zu schließen und um die Verkehrsopfer vor Härten zu bewahren, gegen die sie sich am wenigsten schützen können", heißt es auf der Internetseite des Vereins. Die Verantwortlichen weisen auch darauf hin, dass sie bei Vorsatz, nicht versicherten Fahrzeugen und Fahrerflucht den Schaden nicht erstatten – um Missbrauch zu verhindern.

Normalerweise müsste ein nicht-hafpflichtversicherter Mensch, egal welcher Nationalität, den Schaden selbst bezahlen. Wenn er das nicht kann, würde, um den verursachten Schaden zu regulieren, Eigentum gepfändet. Bei Flüchtlingen geht das nicht, da sie ohne Job am Existenzminimum sind und, sofern sie in Gemeinschafsunterkünften leben, keinen pfändbaren Besitz haben.

Geld- und Sachleistungen werden monatlich miteinander verrechnet

Zuständig für die Auszahlung der Geldleistungen ist das Migrationsamt, Sachgebiet Flüchtlingssozialleistungen. "Die Zahlungen richten sich nach der entsprechenden Anspruchsgrundlage und nicht danach, ob sich der Leistungsberechtigte in der vorläufigen Unterbringung befindet oder in der Anschlussunterbringung", erläutern die Verantwortlichen. Die entsprechenden Leistungen werden, wie beim Thema Krankenversicherung nach § 2 oder § 3 AsylbLG gewährt.

Nach § 3 AsylbLG erhalten alleinstehende Leistungsberechtigte (Regelbedarfsstufe eins) einen Bargeldbetrag in Höhe von 143 Euro monatlich. Das ist das sogenannte soziokulturelle Existenzminimum. Dazu kommen 216 Euro – das sogenannte physische Existenzminimum. Von Letzterem werden 33,39 Euro monatlich für Sachleistungen wie Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung abgezogen. Damit erhält ein alleinstehender Leistungsberechtigter dann 325,61 Euro pro Monat. Und: Es werden Anteile für die Innenausstattung, Haushaltsgeräte und Sachleistungen gewährt. Nach § 2 AsylbLG erhalten alleinstehende Leistungsberechtigte der Regelbedarfsstufe eins, die mindestens 15 Monate in Deutschland leben, 399,00 Euro zuzüglich die Kosten für die Unterkunft, soweit sie angemessen sind.