Katija Rothbächer als Shui Ta (links) und Matthias Göbbels als Pilot Yang Sun zeigten eine meisterhafte Leistung. Foto: Baublies

"Theaterbühne im Keller" überzeugt mit einer unbekannten Fassung von Bertolt Brechts "Sezuan"-Stück

Die "Theaterbühne im Keller" hat Brechts "Der gute Mensch von Sezuan" in einer weitgehend unbekannten Version gespielt. Das "Lehrstück" überzeugte vor allem dank einer überragenden Katija Rothbächer in der Doppelrolle Shen Te/Shui Ta.

Lahr. Der Unterschied der gezeigten Fassung "Der gute Mensch von Sezuan – Version 1943" besteht darin, dass Shui Ta, der böse und machtbewusste "Vetter" der Shen Te, mit Opium handelt. Dieses entscheidende Element fehlt in der Version, die in der Regel gespielt wird. Christopher Kern, der mit rund 15 Darstellern diese Version inszeniert hat, war daher zu Recht stolz darauf, dass die Premiere am Freitagabend im Stiftsschaffneikeller erst die dritte Aufführung überhaupt sei.

Das Wagnis ist gelungen: Diese Fassung bot – trotz für die Theaterbühne im Keller gewaltigen Länge von drei Stunden Spielzeit – viel Drama. Was auch an der guten Leistung des Pianisten Albert Vetter lag, der die Partitur von Paul Dessau wunderbar in das Stück eingebracht hat. Drei Götter (Karin Endres, Will Draeger und Bärbel Huck) finden in der Prostituierten Shen Te in der Stadt Sezuan einen guten Menschen. Das Geschenk, Geld für einen Tabakladen, nutzen die angeblich armen Verwandten und Freunde schnell aus. In der Not schlüpft Shen Te in die Rolle des Vetters Shui Ta, der eben nicht mehr der gute Mensch von Sezuan ist. Katija Rothbächer bietet dabei ein großartiges Doppelspiel. Das arme und hilflose Mädchen im Hemd und barfuß gelingt ihr ebenso überzeugend wie die Rolle des kalten und völlig rational agierenden Shui Ta – mit Anzug, Hut und Gesichtsmaske. Beeindruckend – und mit viel Szenenapplaus bedacht – ist ihr Solo als Shen Te mit dem imaginären Kind gewesen. Sie weiß, dass sie schwanger ist, und erklärt "einem von morgen, der um ein heute bittet", ihre Welt. Das war so eindringlich, dass man das arme "Kind" Shen Te am liebsten an der Hand von der Bühne hätte führen wollen.

Eine kongeniale Ergänzung der Doppelrolle Shen Te/ Shui Ta war der Flieger Yang Sun (Matthias Göbbels). Shen Te rettet ihn vor dem Selbstmord. Er nutzt ihre Hilfe und ihre Naivität restlos aus. Da Shen Te sich in ihn verliebt hat, erbettelt er sich einen Großteil des Geldes (der eigentlich zweifelhaften Hilfe) der Götter. Die Dialoge mit Shen Te einerseits und Shui Ta anderseits machen aus dem Stück, wie es Kern inszeniert hat, ein spannendes Drama. Keiner auf der Bühne – außer der Doppelrolle und den Zuschauern – weiß ja um die zwei Gesichter des guten Menschen. Nur zerbricht Shen Te irgendwann, als sie eine Sack mit Opium bei sich hat.

Jetzt verwischen diese zwei Figuren. Der Vetter Shui Ta ist plötzlich ebenfalls schwanger, und die Götter – in einem furiosen Finale des gesamten Ensembles – mutieren zu Richtern. Das Volk von Sezuan hat Shui Ta des Mordes an Shen Te beschuldigt. Den Göttern/Richtern offenbart Shen Te die Doppelrolle. Laut dem ausführlichen Begleittext zum Stück hat Brecht diese Fassung im amerikanischen Exil in Santa Monica verfasst und eigentlich nie beendet. Hier hat Kern auf den offenen Schluss des bekannten Texts zurückgegriffen. Es endet, was aber eine Lahrer Besonderheit gewesen ist, alles unter rosa Wolken. Es war nur schade, dass bei der Premiere am Freitag ein Drittel der Sitze leer geblieben sind.

INFO

Aufführungen

"Der gute Mensch von Sezuan – Version 1943" wird am Wochenende 29. und 30. September sowie am 1. und 2. Dezember noch einmal im Stiftsschaffneikeller aufgeführt.