Gülsen Yildiz arbeitet als türkische Avukat in Lahr / Rolle der Mutter und Hausfrau ist ihr zu wenig

Lahr (sad). Gülsen Yildiz ist Anwältin für türkisches Recht. Seit elf Jahren lebt die Mutter zweier Söhne in Kehl – seit Kurzem übt sie ihren Beruf als Avukat in Lahr in der Rappentorgasse 6 aus. "Ich habe alle Entscheidungen für mein Leben selbst getroffen", betont sie. Das möchte sie auch anderen ermöglichen.

Offen und selbstbewusst sitzt Yildiz am Tisch im kleinen Besprechungszimmer der Kanzlei. Geboren und aufgewachsen ist die 45-Jährige in Istanbul. "Das ist eine tolle Stadt", schwärmt sie. "So voller Leben, es ist immer was los." Als sie die Prüfung zur Zulassung des Jura-Studiums in Istanbul bestanden hatte, hat sich ihrer Familie sehr gefreut. "Von meiner Familie habe ich dabei die volle Unterstützung bekommen", erinnert sich Yildiz. Sie sei allerdings schon immer sozial engagiert gewesen, hätte sich für andere eingesetzt. "Der Beruf passt einfach zu mir", sagt die Avukat.

Zwei Semester lang studierte die junge Frau Rechtswissenschaften in Bochum, verdiente sich ihren Lebensunterhalt als Kindermädchen für Drillinge und lernte an der Volkshochschule die deutsche Sprache. "Als ich wieder zurück in die Türkei gegangen bin, ist ein kleiner Teil von mir in Deutschland hängengeblieben, es ist hier ein Teil von mir steckengeblieben – ja, so kann man das sagen", führt Yildiz aus. Das habe ihr im Hinterkopf Türen geöffnet, ihr auch für ihre Zukunft neue Perspektiven aufgezeigt.

Fünf Jahre lang arbeitete sie in Istanbul. Fachanwälte im deutschen Sinn gibt es in der Türkei nicht. Yildiz setzte in ihren ersten Berufsjahren ihren Schwerpunkt aber auf allgemeines Zivilrecht, Handels- und Familienrecht, bearbeitet aber auch andere Fälle im Bereich internationales Privatrecht. In dieser Zeit lernte sie, sich durchzusetzen – für sich selbst als weiblicher Avukat und für ihre Mandanten einzustehen. "Hätten die Männer ein Problem damit gehabt, dass ich eine Frau bin, wären sie ja nicht zu mir gekommen", so Yildiz.

2003 heiratete sie und zog mit ihrem Mann nach Deutschland, präziser: nach Kehl. Zweifel habe sie keine gehabt – mit dem deutschen System, der Mentalität und der Sprache sei sie durch ihren Studienaufenthalt schon vertraut gewesen. "Dort gab es damals für meinen Mann sehr gute Arbeitsbedingungen – also sind wir in Kehl gelandet", erklärt Yildiz. Für die junge Frau war der Umzug vom mondänen und lauten Istanbul in die Grenzstadt am Rhein ein kleiner Schock: "Ich dachte am Anfang: Mein Gott, hier ist ja nichts los", erinnert sich Yildiz lachend.

Für die damals 32-Jährige stand fest: Die Zeit für Kinder war gekommen. Im Abstand von knappen zwei Jahren, kamen ihre Söhne zur Welt. Aber: "Die Mutter- und Hausfrauenrolle war mir zu monoton. Waschen, backen, kochen, bügeln, Kinder zur Kita bringen, aufräumen, Schulaktionen betreuen – dabei habe ich mich nicht wohlgefühlt", so Yildiz. "Ich habe mich nicht selbstverwirklicht gefühlt." Um sich weiterhin zu engagieren, habe sie Frauen mit Migrationshintergrund beraten und ehrenamtlich bei Amtsgängen begleitet.

Vor drei Monaten gelang der Sprung zurück ins Berufsleben

Eines Tages habe ihr Vater ihr am Telefon gesagt, dass er früher, als sie als Avukat gearbeitet hat, sehr stolz auf sie gewesen sei. Und jetzt nicht wisse, was sie eigentlich in Deutschland mit ihrem Leben tue. "Das hat mich getroffen. Da wusste ich: Ich muss zurück ins Berufsleben", betont Yildiz. Vor drei Monaten dann glückte ihr der Sprung zurück – in der Rappentorgasse hat sie ein Büro. "Die Umstellung für mich und die Kinder ist schon groß", gibt Yildiz zu. "Und wer behauptet, er schaffe Beruf und Kinder ohne Hilfe, der lügt. Das geht nicht." Aber es klappe jeden Tag ein bisschen besser und sie hoffe, dass ihre Jungs lernen, eine berufstätige Mutter zu akzeptieren, zu verehren und stolz auf sie zu sein. Nicht nur, weil sie, nach eigenen Angaben, die einzige türkische Avukat im Ortenaukreis ist. Sondern, weil sie für das Recht kämpft. "Anders als die anderen einheimischen Kollegen in Deutschland fällt mir der Wiedereinstieg ins Berufsleben schwer. Ich muss alles wie ein Anfänger von Null an aufbauen."

Yildiz hat für sich eine Marktnische aufgetan: "Da es zwischen Freiburg und Karlsruhe so gut wie keinen türkischsprechenden Anwalt beziehungsweise türkischen Avukat gibt, kann man von einem großen Bedarf im Ortenaukreis ausgehen", erklärt sie. "Türkische Staatsbürger müssen im Rechtsfall entweder zum Konsulat nach Karlsruhe fahren oder sogar persönlich in die Türkei fliegen, um sich von einem türkischen Anwalt beraten zu lassen."

Yildiz berät Frauen und Männer, wenn sie sich trennen oder die Scheidung wollen, sie kümmert sich um Firmen, die in der Türkei eine Niederlassung aufbauen wollen oder Probleme beispielsweise mit Lieferanten haben – aber auch darum, wenn Urlauber Ärger mit einem türkischen Reiseveranstalter haben, Menschen Immobilien kaufen, verkaufen oder erben – das Spektrum ist umfangreich. Noch etwas ist für die Arbeit der 45-Jährigen ausschlaggebend: "Mir ist nicht wichtig, welche Nationalität jemand hat oder welche Sprache er spricht. Wenn er Hilfe braucht, dann bekommt er die."