Bassam Tibi beim Signieren seiner Bücher Foto: Schnabl

Politikwissenschaftler Bassam Tibi spricht über die Flüchtlingspolitik

Hoher Besuch im Sankt-Maximilian-Kolbe-Heim. Der syrische Politikwissenschaftler Bassam Tibi referierte zum Thema "Europa in der Krise". Der CDU-Stadtverband lud zu diesem brisanten Vortrag mit anschließender reger Diskussion ein.

Kenzingen. Nur die einleitenden Worte des Vorsitzenden Eberhard Aldinger und die Begrüßungsformel des 72-jährigen aus Syrien stammenden Bassam Tibi waren humoristischer Natur. Der streitbare Wissenschaftler ist eigens aus Göttingen angereist, wo er bis 2009 als Professor an der Georg-August-Universität tätig war, um in Kenzingen den "europäischen Mittelpunkt" kennenzulernen, so Aldinger. Der Professor konterte mit einem Zeitvergleich: Von Göttingen bis zur Harvard University nach Cambridge/ Massachusetts bräuchte er genauso lange wie von seinem Göttinger Wohnort bis in den Breisgau.

Der Festsaal wies wenige freie Plätze auf, das Interesse war gewaltig, ebenso die Erwartungshaltung des Publikums. Der Auftritt eines Trägers des Bundesverdienstkreuzes erster Klasse ist schließlich eine Seltenheit in Kenzingen. Tibi hatte es 1995 vom damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog verliehen bekommen mit der Begründung, dass der Politologe sich für ein besseres Verständnis des Islam in Deutschland einsetze. Tibi redete klar, ohne Umschweife. Er bekannte sogleich, dass er den modernen Islam vertrete, aber kein islamistisches Europa favorisiere. Europa betrachte er als seine Heimat. Fakt sei aber, dass die Europäische Union keine Außenpolitik, kein Sicherheitskonzept und keine Einwanderungspolitik betreibe. Längst habe Deutschland seine Kontrollfunktion verloren.

2015 war ein dramatisches Jahr gewesen, erklärte Tibi. 1,5 Millionen Flüchtlinge in Europa zähle eine fragwürdige Statistik. Fragwürdig deshalb, weil nicht alle Flüchtlinge erfasst, andere gleich mehrfach registriert sind. Eine demografische Lawine werde ausgelöst, an der die Deutschen ihre Mitschuld tragen. Seit Öffnung der Grenzen vor knapp zwei Jahren kam der Zustrom teils ohne Ausweise, teils mit gefälschten Papieren ins Land. Die Leute wurden registriert und sofort in die Sozialleistungen übergeleitet. Zwei Drittel reisten nach Deutschland, der Rest teilt sich Westeuropa.

Bassam Tibi: "Ein schlüssiges Konzept für die Integration fehlt."

Tibi forderte von der Politik nicht nur Willkommen zu gestikulieren und Flüchtlinge ins Land zu lassen, sondern auch die Integration voranzutreiben. Ein schlüssiges Konzept fehle momentan noch völlig. Traditionell sind die USA, Kanada und Australien Einwanderungsländer. Aber gerade sie pochen auf eine völlige Kontrolle mit einem exakten Regelwerk, das bestimmt, wer rein darf und wer draußen bleiben muss. Die illegale Migration hierzulande bewirke genau das Gegenteil. Tibi heißt regulierte Einwanderung gut, erklärte er, von chaotischer Zuwanderung rät er jedoch energisch ab, denn "offene Grenzen ohne Kontrolle sind reines Nichts". Eine Meinung, für die er vereinzelt Applaus erntete.

Eine Lösung für Europa hatte Tibi nicht parat, wohl aber Ansätze. Kein islamistisches Europa, aber einen gemeinsamen Dialog forderte der Redner in seinem Schlussplädoyer. Unter Demokraten sollte das möglich sein, hofft er.