Die Lehren von Doctor Martinus Luther (rechts, Thomas Reitzel) und Johannes Brysgoicus de Brokkingen (Reinhold Hämmerle) wurden von beiden Verfechtern in einem Stadtrundgang dargelegt. Inmitten Schlichterin Clothilde (Claudia Bühler). Foto: Schnabl

Fiktives Zwiegespräch zwischen Luther und einem Brogginger Gelehrten

Hier Martin Luther, religiöser Neuerer. Dort Hans Sutor aus Broggingen, überzeugter Gegner der Reformation: Die Protagonisten trafen sich im Rahmen des Herbolzheimer Kulturprogramms zu einem fiktiven Streitgespräch an realen Schauplätzen.

Herbolzheim. Dem eineinhalbstündigen Stadtrundgang wohnten über 50 Schaulustige bei. Darunter auch Tourismusbüro-Mitarbeiterin Claudia Bühler alias Clothilde als allwissender Zeitgeist, Aufklärerin und Schlichterin.

Deutschland ist zu Beginn des 16. Jahrhunderts in einem wahren Glaubensaufruhr. Herbolzheim lag zwar am Rande des Herrschaftsgebiets von Vorderösterreich, doch mitten in den Glaubenswirren. In der benachbarten Amtsstadt Kenzingen predigte man die Luther-Thesen schon von der Kanzel. Die Verunsicherung des einfachen Volkes war enorm, weil Glaubensabtrünnigen drakonische Strafen drohten. Vor dem Hintergrund dieser Spannungen inszenierten Thomas Reitzel als sächsischer Reformator Martin Luther und Reinhold Hämmerle als Universitätslehrer Hans Sutor einen imaginären Disput an acht Stationen.

"Clothilde" führte die Wan derschar zu den einzelnen Arenen und in die Materie ein. Es war Ablasstag befohlen – die Kirchenmauer von Sankt Alexius bildete die erste Kulisse. Da drohte Sutor seinem Gegenüber mit 15 Jahren Fegefeuer, sollte dieser sich nicht bekeh ren lassen. Luther konterte mit der Behauptung, dass jeder reumütige Christ Strafe und Schuld erlassen bekomme.

Die 95 Thesen an der Kirchentür

An der Kirchentür wehten bereits die 95 Thesen. Hans Sutor, der sich fortan als Johannes Brysgoicus de Brokkingen titulierten ließ, stufte die materiellen Gaben höher ein und verwies auf Herbolzheimer Honoratioren, denen für 20 Gulden zehn Jahre Fegefeuer erspart blieben. Über die Freiheitsbewegung stritten sich die beiden im Innenhof des "Löwen", als plötzlich Panik entstand. Viele Bürger rannten Richtung Kenzingen, wo der Prediger namens "Jakob der Elsässer" die Leut‘ in Glaubensfragen belehrte. Zu viel für den Brogginger Atheisten, der den Abtrünnigen wünschte: "s‘ Christkindle soll allen als Raubvogel erscheinen". Freunde wurden die beiden auch am nächsten Ort nicht. An der evangelischen Kirche nutzte Luther sein Heimspiel für seine Theorien, bis wieder Tumulte von Weitem hörbar waren. Beim Haus des Schultheißen, einem der ältesten Häuser des Ortes aus dem 16. Jahrhundert, sammelten sich Bauern, die mehr Rechte einforderten. "Auf den Schultheiß hätte ich keinen Schilling mehr gewettet", war die Antwort Brysgoicus’ mit ironischem Aktualitätsbezug.

Die Zeit schritt auch in den Gassen Herbolzheims voran. Die Unbeugsamen stritten weiter. Protestanten hätten be wiesen, dass sie bibeltreu sind. Dem konterte Broggingens Aufwiegler, dass keine These majestätische Zustimmung gefunden habe und die Priesterehe nach wie vor unzulässig sei. An der Margarethenkapelle dann der finale Akt. Die Thesen sollen in Broggingen und Tutschfelden gelten, von Wagenstadt riet Sutor ab, denn die dienten zweierlei Herren, einem katholischen und einem abtrünnigen. Nach dem spätlateinischen Ausruf "Ite missa est" (Gehet hin in Frieden) versuchte Clothilde noch zu beschwichtigen. "Wir stehen selbst enttäuscht und seh’n betroffen, den Vorhang zu, und alle Fragen offen?"

Nicht ganz: Ein kurzer Schlussmonolog von Professor Andreas Urs Sommer über Zwang, Vernunft und Toleranz in der Gegenwart diente zum Verständnis in der damaligen Glaubensfrage.