Hans-Michael Uhl (links) und Steffen Reiche waren nicht immer einer Meinung. Besonders in der Frage nach dem Miteinander mit Muslimen vertreten beide unterschiedliche Ansichten. Foto: Störr

Diskussion zweier engagierter evangelischer Theologen über Politik, Freiheit und Religion zum Tag der Deutschen Einheit

Am "Tag der deutschen Einheit" haben die evangelischen Theologen Hans-Michael Uhl und Steffen Reiche im voll besetzten Rathaussaal über Religion, Politik und die Freiheit diskutiert. Nach gut zwei Stunden hätte noch vieles gesagt und diskutiert werden können, das dann aber im kleinen Kreis weiter besprochen wurde.

Hausach . "Er ist ein streitbarer Christenmensch, ein politischer Pastor, ein Zeitzeuge und Einer, der für seine Meinung einsteht", befand Hans-Michael Uhl im Hinblick auf seinen Gesprächspartner.

Der besondere Feiertag der deutschen Geschichte solle mit dem Gespräch in besonderer Weise begangen werden. Abends zuvor habe ihn das öffentliche Gespräch mit Steffen Reiche in Kehl beglückt und bereichert.

"Er ist einer, der aus dem Nähkästchen der Geschichte erzählt. Das kann er, weil er mitten drin war und kräftig mitgemischt hat." Die SchwaBo-Überschrift vom Montag: "Die Globalisierung begann am Kreuz" wollte Uhl dann als "steilen Satz voraus" besprochen haben, bevor es in die Biografie und den politischen Werdegang seines Gastes ging.

Steffen Reiche gewährte zunächst Einblicke in seinen Berliner Wirkungskreis und seine grundsätzliche Frage nach dem Zusammenkommen von Theologie und Politik. Menschen, die Jesus damals erlebt hätten, wären der Meinung gewesen: "Das betrifft alle Menschen". Damit habe seiner Meinung nach die Globalisierung begonnen.

In der Kirche durfte entschieden werden

Die Taufe sei als erster Akt der Freiheit zu verstehen, den es in der Menschheit gab. "In der Kirche durfte entschieden werden und damit wurde auch die Religionsfreiheit konstituiert", erklärte Reiche seine These. Die Kirche habe "Gott sei’s geklagt" ihre Schattenseiten, aber es gebe auch sehr viel Gutes, das wenig beachtet werde. Die Frömmigkeit der frühen Christen sei heute fremd, der geschichtsphilosophische Teil der Kirchentwicklung lasse sich anhand des Buches "Die Verzauberung der Welt" von Jörg Lauster erklären. "Seit dem Missions-Ausbruch gibt es eine Verzauberung der Welt. Christen haben mit dem, was sie tun, die Welt verändert", befand Reiche.

Im Sprachkonvikt gelernt frei zu denken

Der Hausacher Theologe Uhl sah die Menschen in der Kirche und drehte die Perspektive auf die Ausbildung Reiches zum evangelischen Priester am Berliner Sprachkonvikt.

"Dort habe ich anders und freier zu denken gelernt, nicht mehr in den Denkschablonen der DDR", erklärte Reiche und gewährte Einblicke in das damalige offizielle Denken. Es habe eine Revolution gebraucht, um die kirchliche Theologie menschlich zu machen. "Wenn das Rad der Heilsgeschichte durch einen Staat wie die DDR zurückgenommen wird, muss man dem Evangelium zum Durchbruch verhelfen", formulierte er seine Grundmotivation.

Daraus habe sich die Frage ergeben, was dem Staat wirklich weh tue – die Neugründung der SDP sei das Mittel der Wahl gewesen. "Zum 40. Jahrestag der DDR haben wir ihr mit der SDP-Gründung ein wirklich wichtiges Geschenk gemacht", scherzte Reiche. Wie aus dem Besuch bei seiner Großmutter im Sauerland schließlich eine politische Sternstunde wurde, war ein spannender Bericht zum innerdeutschen Mauerfall. "Wir hatten damit gerechnet, dass es fünf bis sechs Jahre dauern würde, aber nachdem wir im Januar gerufen hatten ›Wir sind ein Volk‹, hat alles eine Dynamik bekommen, die nicht mehr aufzuhalten war". Helmut Kohl habe als damaliger Bundeskanzler die Gunst der Stunde angefangen zu erkennen. "Hätte er das schmale Fenster von wenigen Monaten für die deutsche Einheit nicht genutzt, gäbe es sie heute nicht", unterstrich Reiche. Die Sowjetunion sei kurze Zeit später zerfallen.

Ende 1991 Anfang 1992 sei die Einheit nicht mehr möglich gewesen. Uhl wollte als dritten großen Block des Abends die Freiheit als ein Stück der theologischen Existenz, aber in ihrer politischen Dimension besprochen haben. Reiche führte Persönlichkeiten wie Mahatma Gandhi oder Martin Luther King an, die ihren gewaltlosen Widerstand von Jesus gelernt hätten und mit dem auch die Stasi-Leute 1989 nicht gerechnet hatten. Mit Kerzen und Gebeten sei die Mauer gefallen.