Edgar Brucker (von links), Pedro (5), Mutter Birgit und Carlos (7) lachen gerne. Foto: Reinhard

Pedro Brucker ist das neue Hausacher Bärenkind / Junge hat Fehlbildung "Spina bifida"

"Er ist ein richtiger Räuber, der Musik liebt" – so beschreibt Edgar Brucker seinen Sohn Pedro. Im Hintergrund läuft gerade seine momentane Lieblings-CD – Mozart. Der Fünfjährige, der "Spina bifida" – einen offenen Rücken – hat, ist das neue Bärenkind im kommenden Advent.

Hausach. Fröhlich turnen Pedro und sein älterer Bruder Carlos auf dem Sofa herum, vollkommen vertieft in ihr Spiel mit Lego-Figuren. "Man sieht es, wenn man zweimal hinschaut", meint Birgit Brucker mit einem kurzen Blick auf ihre beiden Kinder. Dass es Pedro so gut geht, hat er dem unermüdlichen Einsatz seiner Eltern zu verdanken.

In der 18. Schwangerschaftswoche wurde bei einer Ultraschalluntersuchung "Spina bifida" festgestellt. Dabei handelt es sich um eine Fehbildung, bei der sich während der Entwicklung des Embryos im Mutterleib das Neuralrohr, die Voranlage für Gehirn und Rückenmark, nicht richtig schließt (siehe Infokasten). Die Nerven liegen frei und werden durch das Fruchtwasser geschädigt.

"Als wir das erfahren haben, musste wir das erst einmal drei, vier Minuten sacken lasse", erzählen Birgit und Edgar Brucker. "Unsere Frauenärztin hat uns dann von einem Studienkollegen, Thomas Kohl, erzählt, der sich mit vorgeburtlichen Operationen an solchen Kindern befasst." Dabei wird die offene Stelle mit einer Art Pflaster aus tierischem Gewebe verschlossen und die Nerven werden so vor dem Fruchtwasser geschützt.

Die Beiden fuhren zu dem Arzt nach Gießen und nach einem Gespräch sowie vielen Untersuchungen entschieden sie sich für die OP. "Unser Gefühl sagte uns: ›Das machen wir‹. Und wir wollten alles tun, um diese Krankheit einzudämmen, damit unser Kind so wenig behindert wird wie möglich", erklärt Edgar Brucker. Allerdings wurde die Operation zu diesem Zeitpunkt erst 50 Mal durchgeführt – nicht immer mit Erfolg. Manche Eingriffe mussten abgebrochen werden, einige Kinder starben. "Die Voraussetzungen bei uns waren aber ideal, der Arzt optimistisch. Er hat uns dennoch offen damit konfrontiert, was alles passieren kann", berichtet Edgar Brucker.

Neun Stunden dauerte der Eingriff. Er gelang, doch damit war nicht alles ausgestanden. Birgit Brucker musste für den weiteren Verlauf der Schwangerschaft liegen, es bestand die Gefahr, dass die Fruchtblase reißt. Sie durfte nach Hause, aber nach drei Wochen bekam die Fruchtblase einen Riss. Mitten in der Nacht mussten sie und ihr Mann nach Gießen fahren. Dort konnte erst einmal Entwarnung gegeben werden. Es war noch genug Fruchtwasser vorhanden. Birgit Brucker musste weiter liegen und das wochenlang. Auch für ihren Mann und den damals anderthalbjährigen Carlos war das keine einfache Zeit, liegen zwischen Hausach und Gießen doch mehrere hundert Kilometer. Um in der Nähe ihrer Ehefrau und ihrer Mutter zu sein, übernachteten sie auch mal im Auto. Sonst schlugen sie ihr Hauptdomizil bei Edgars Schwester in Heidelberg auf. "Überhaupt hat uns unsere Familie sehr unterstützt und wir sind ihnen so dankbar dafür", betont das Paar.

Bis in die 34. Schwangerschaftswoche hielt Birgit Brucker durch, dann wurde Pedro mit einem Geburtsgewicht von 1800 Gramm per Kaiserschnitt auf die Welt geholt – unter den Augen von zahlreichen Kameras und denen von an der neuartigen Methode interessierten Medizinern. Pedro lag zwei Wochen lang in einem Brutkasten auf der Intensivstation und kam hinterher auf eine spezielle Kinderstation. Mutter Birgit hatte Glück und eine Lernschwester überließ ihr für die Zeit ihr Zimmer. "Dass die Krankenhaus für so etwas keine Übernachtungsmöglichkeiten bietet habe ich sehr bemängelt", meint sie.

Als Pedro stabil war, durfte er nach Hause. "Dann kam das Loch." So beschreibt sie die Zeit, in der sie sich bemühten, Ärzte zu finden, die sich um Pedros weitere medizinische Versorgung kümmern konnten. Das gestaltete sich schwierig, denn viele schreckten vor der Behandlung zurück. Über Selbsthilfegruppen und den Austausch mit anderen Eltern von Spina-bifida-Kindern suchten die Bruckers sich Ärzte in ganz Süddeutschland zusammen. So sind sie unter anderem regelmäßig in Heidelberg, um Pedro neurochirurgisch durchzuchecken, für othopädische Angelegenheiten in Stuttgart und für urologische in Villingen-Schwenningen. Mehr als 100 Arzttermine nimmt der Junge im Jahr wahr.

"Es geht ihm gut", fassen seine Eltern seinen momentanen Gesundheitszustand zusammen. Das bedeutet aber nicht, dass alles in Butter ist. Seine Beine sind ab dem Knie gelähmt, er hat einen Wasserkopf und eine neurogene Blase. Das heißt, um sie zu entleeren, muss alle zwei bis drei Stunden manuell ein Katheter eingeführt werden. Ähnlich sieht es beim Stuhlgang aus. Der Fünfjährige macht außerdem regelmäßig Physiotherapie, um seine Mobilität zu erhalten. Seine Betreuung ist für Mutter Birgit ein Vollzeit-Job. Vor anderthalb Jahren zogen Bruckers nach Hausach. "Hausach ist für uns ideal, man kommt überall gut hin", sagen beide. Auch die Nachbarn seien toll und würden sie unterstützen.

Alle paar Jahre muss der Junge operiert werden, denn sein Rückenmark ist an der Schadstelle angewachsen. "Bei jeder dieser OPs besteht ein 80-prozentiges Risiko einer Querschnittslähmung", erklärt Edgar Brucker. Die nächste steht demnächst an, wann genau, kann man noch nicht sagen.

INFO

"Spina bifida": der offene Rücken

Bis dahin geht Pedro weiter gerne in den Kindergarten Sternschnuppe, auch wenn er allmählich merkt, dass er etwas anderes ist als die anderen Kinder. "Ich sage ihm dann immer, dass er eben etwas ganz Besonderes ist", sagt Birgit Brucker und wuschelt ihrem Sohn durch die Haare.