Sowohl am Lenker seines Fahrrads als auch hinter seinem Schreibgerät fühlt sich Joachim Zelter einfach am wohlsten. Foto: Jähne

Stadtschreiber Joachim Zelter hat den Blick für gesellschaftliche Lücken und Schwachstellen

"Das Fahrrad ist mein eigentlicher Arbeitsplatz", meint Joachim Zelter, seit Februar Stadtschreiber in Hausach. Wenn der 54-Jährige auf seiner Rennmaschine in die Pedale tritt, dann setzt sich im Kopf ein ganzer Prozess in Gang: Ideen... Worte... Konzepte... Buch.

Hausach. Bereits seit 15 Jahren sucht der begeisterte Radsporter Zelter Ausgleich und Entspannung auf dem guten alten Drahtesel – und bereits vor 20 Jahren hat sich der gebürtige Freiburger der schriftstellerischen Tätigkeit verschrieben. Wie beides äußerst produktiv zusammen geht, zeigt sich an bislang zwölf veröffentlichten Romanen, zehn aufgeführten Theaterstücken und etlichen Hörspielen, die alle samt von dem eingefleischten SC-Freiburg-Fan verfasst wurden.

Auch seine Zeit in Hausach, die noch bis Mitte Mai andauert, will Zelter nutzen, um gleich in mehrfacher Hinsicht literarisch aktiv zu werden: "Neben einem Hörspiel für einen Schweizer Radiosender arbeite ich momentan an einem neuen Roman, der bezeichenderweise den Radsport als Thema beinhaltet", so der Autor.

Ohne sich dabei allzu sehr in die Karten schauen zu lassen, gibt der 54-Jährige schon jetzt ein wenig über die Inhalte preis: So handelt das Buch von einem ambitionierten Radprofi, der aufgrund der Leistungsverbesserung in die Freiburger Region kommt, um dort alsbald in ein lebensgefährlich-mörderisches Umfeld zu geraten.

Das Schöne am Grotesken

Das Hörspiel soll hingegen den Titel "Der Trauzeuge" tragen, im Juni produziert werden und neben einem makaberen Plot auch eine bitterböse Schlusswendung enthalten. "Das Ganze ist so eine Art Sandmännchen für Erwachsene", meint der Stadtschreiber ob der späten Sendezeit dieser Gruselstory. Noch nicht verraten werden soll die nicht minder launige Pointe – wohl aber, in welche Richtung es bei all seinen literarischen Ergüssen geht: "Generell reizt mich das Absurde und Groteske", berichtet Zelter, der nicht nur Satire und Politisches in seinen Werken vermengt, sondern auch von der Überforderung durch Erfolgsdruck oder dem Scheitern der Protagonisten an den eigenen Charakterschwächen handelt. Gesellschaftrelevanz ist für Zelter genauso wichtig wie die Bezug zu zeitgenössischen Thematiken. Die Floskel "bloß keine Pedale auslassen" bezieht sich dabei nicht auf das Leistungspensum beim Radeln, sondern auch auf die heutige Gesellschaft, die keine biografischen Lücken – sei es durch Arbeitslosigkeit oder eine längere Krankheit – zulässt, wohingegen das einzelne Individuum immer als funktionales Rädchen im großen System zu agieren hat. Und auch das deutsche Schulwesen nimmt Zelter gerne mal aufs Korn: "Mein 2006 erschienenes Buch ›Schule der Arbeitslosen‹ handelt von einer staatlichen Internierungsanstalt, in dem Langzeitarbeitslose ihre eigenen Lebensläufe umschreiben müssen." In einem Szenario, das mitunter an die Gesichten von Franz Kafka erinnert, werden ewige Bittsteller beim Arbeitsamt kurzerhand zu Bergführer in den Anden gemacht, um nur ein Beispiel zu nennen.

Gehetzte Satzphrasen

In "Der Ministerpräsident" (2010) erleidet selbiger einen akuten Gedächtnisverlust, um langsam aber sicher zu seiner alten Identität zurückgeführt zu werden. Selbstredend, dass der Radsport dem Politiker hilft, wieder auf die Beine zu kommen. Vor allem bei seinem aktuellen Buchprojekt will Zelter auf knappe, fast schon unruhig-gehetzte wirkende Satzstrukturen setzen, um die Symbolik des In-die-Pedale-Tretens einmal mehr zu versinnbildlichen.

Gegenteil zu Thomas Mann

"Im Prinzip sind meine Phrasen das exakte Gegenteil zu den endlosen Auschweifungen eines Thomas Mann", so der Autor, der wiederum und ausgerechnet auf den Mann´schen Klassiker "Tod in Venedig" als erstes im Regel der Wohnungsbibilothek des Hausacher Molerhiisles zurückgegriffen hatte, um darin zu lesen. Bei Vogelgesängen, sonnigem Wetter, Teich und behaglichem Flair hat Zelter das ideale Umfeld für seine Stipendienzeit gefunden. Und auch in Hausach ist der 54-Jährige binnen kürzester Zeit hervorragend angekommen: "Die Leute hier sind sehr nett und die Landschaft ist einfach großartig."

Selbstredend, dass das Kinzigtal schon längst als beliebtes Ausflugsziel und geistige Inspirationsquelle für die nach folgenden Werke dient. Diese werden jedoch ab Mai wieder in der Tübinger Wahlheimat verfasst, wo Zelter auch in Zukunft als Schriftsteller fungieren will, um weitere Bücher zu schreiben.

INFO

"Rad-Lesung" mit Joachim Zelter

Der Hausacher Stadtschreiber und Gisela-Scherer-Stipendiat Joachim Zelter geht auf Tour: Die bereits für Samstag, 22. April, angekündigte "FahrRadLesung" wurde nun auf Sonntag, 7. Mai, verlegt. An der Uhrzeit und den Etappen hat sich laut den Veranstaltern nicht geändert: So ist der Beginn für 14 Uhr festgelegt. Dabei findet die erste Lesung im Gasthaus Hirsch (Einbach), die Zweite im Gasthaus Zur Sonne (Gutach-Turm) und die Dritte im Hausacher Molerhiisle statt. Die voraussichtliche Dauer beträgt vier Stunden. Dass Gisela Scherer zu diesem Datum immer ihren Namenstag gefeiert hat, gibt dem Ganzen einen zusätzlichen Akzent. Und dass es sich hierbei laut den Veranstaltern um den "Hausacher Leselenz" wohl um eine "außergewöhnliche Lesung in drei Etappen" handelt, ebenfalls.