Den Kindern voraus: Storchenvater Alois Krafczyk Foto: Stadt Haslach

Brauchtum: Alois Krafczyk informiert Schüler über den Storchentag / Kinder bekommen am Mittwoch Gaben

Heraus!", tönt es lautstark durch die Räume des Haslacher Bildungszentrums. "Heraus!" Die Rufe der Schüler aus den Klassen eins bis fünf sind kaum zu überhören. Sie alle schauen dabei den großen Herrn im langen schwarzen Mantel an, der vor ihnen steht und bis gerade etwas erklärt hat. Die meisten Kinder blicken ehrfürchtig auf. Der Mann trägt einen eigentümlichen Hut.

Der Mann ist Alois Krafczyk, und er ist an diesem Morgen im Haslacher Bildungszentrum, um die jüngeren Schüler für den Storchentag zu begeistern. Denn Krafczyk ist gewissermaßen die Personifizierung dieses alten Haslacher Brauchs. Auf dem Zylinder, den er trägt, thronen zwei liebevoll bemalte Holzstörche Krafczyk ist Haslachs Storchenvater. Seit mehr als 30 Jahren.

Störche und schreiende Schüler haben auf den ersten Blick recht wenig miteinander zu tun. Es geht an diesem Mittwochmorgen aber um ein Anliegen von Stadt, Schule und Storchenvater: Den Kindern die Tradition des Haslacher Storchentags wieder näher zu bringen. Denn im vergangenen Jahr, so lässt Krafczyk bei einer kurzen Vorbesprechung im Büro des Schulleiters Christof Terglane fallen, sei die Beteiligung an eben diesem Tag schlecht gewesen. In diesem Jahr soll das anders werden. Alle Beteiligten sind stark daran interessiert, den Brauch zu pflegen. "Eigentlich sollte jeder Schüler am Storchentag teilnehmen", sagt der Schulleiter. Er bedauere, dass das Brauchtum verschwinde. Deshalb unterstützt das Bildungszentrum die Aktion, gibt den Schülern unter anderem am Storchentag ab 11 Uhr frei. "Dann habt ihr noch Zeit, euch zu richten, bevor es losgeht", sagt Krafczyk zu den versammelten Kindern. "Ich brauche gar nicht so viel Zeit, ich wohne direkt neben der Kapelle", antwortet ein Mädchen fröhlich.

Der Storchentag ist in der Regel der 22. Februar jeden Jahres. An diesem Tag finden die Kinder der Stadt sich zur Mittagszeit (12 Uhr) an der Mühlenkapelle ein, sprechen gemeinsam mit dem Storchenvater ein Gebet und ziehen danach durchs Städtle. Unter "Heraus!"-Rufen werfen die Haslacher Bürger ihnen Gutsele zu: Klassischerweise Mandarinen oder Orangen, aber auch Süßigkeiten – und nicht zuletzt gibt es Brezeln, die der Storchenvater mit einem langen Stecken angelt. Der ist neben dem Hut und zwei Laib Brot, die der Storchenvater bei seiner Tour auf dem Rücken trägt, ein Erkennungszeichen. Das Brot wiederum ist der Lohn, den der Storchenvater erhält. "Vom Storchentagsbrot esse ich dann eine ganze Weile", erzählt Krafczyk den Kindern und lacht.

Ehrfürchtiges Publikum

Warum genau der Storchentag gefeiert wird, ist nicht klar, erklärt Krafczyk. "Vor vielen Jahren war eine schlimme Krankheit im Tal", erzählt er, während die Kinder mit glänzenden Augen lauschen. Eines weiß schier nicht, wie ihm geschieht. Es sitzt auf dem Boden direkt neben dem Mann, der mit seinem schwarzen Mantel, dem Stecken und dem Zylinder eine imposante Figur im Vergleich zu den Erstklässlern abgibt, und staunt ihn mit offenem Mund an. "Wisst ihr, welche Krankheit das war?", fragt er in die Runde. "Magen-Darm!", ruft ein Schüler.

Es war die Pest. Nachdem diese um 1635 im Kinzigtal gewütet hatte, drohte Haslach eine Ungezieferplage – Schädlinge hätten die Ernte vernichtet. "Die Menschen flehten zum Himmel, dass Gott ihnen helfe, damit sie nicht verhungern müssen", erzählt Krafczyk den Kindern mit ausladenden Handbewegungen. Sie folgen diesen mit den Augen, als wollten auch sie um Rettung beten. Die Haslacher versprachen seinerzeit, den ihren Kindern jedes Jahr etwas Gutes zu tun, wenn sie gerettet würden. Der Legende nach kam die Rettung tatsächlich: In Form von Störchen, die das Ungeziefer fraßen. Der Storchentag war geboren.

Beteiligung schwindet

Krafczyk ist seit 1984 der Haslacher Storchenvater. Er sei nach dem plötzlichen Tod seines Vorgängers berufen worden, erinnert er sich. "Als Kind war ich selbst dabei und habe immer so ehrfürchtig zum Storchenvater hochgeschaut und seht, jetzt bin ich’s selbst", lässt er die Kinder wissen. Anfangs seien mehr als 300 Kinder dabei gewesen. "Da bin ich richtig in der Brandung gestanden. Aber es wurden immer weniger. Ich habe mir natürlich immer gewünscht, dass wieder mehr Kinder mitgehen", sagt Haslachs dienstältester Storchenvater.

In mehr als 30 Jahren hat Krafczyk viele Erfahrungen gesammelt. "Den jüngsten Kindern ist der Storchenvater besonders wohl gesonnen", erklärt er den Erstklässlern. Er sorge schon dafür, dass jedes Kind etwas von den Orangen, Süßigkeiten und Brezeln abbekommt, die die Haslacher aus den Fenstern werfen. Wer hört, wie er mit seiner warmen, ruhigen Stimme vorträgt, glaubt ihm sofort.

"Wer von euch will denn am Mittwoch mit dem Storchenvater mitgehen?", fragt Krafczyk am Ende seines Besuchs. Fast alle Schüler heben die Hand. Sie alle wollen am 22. Februar dabei sein, wenn es ab 12 Uhr in Haslach wieder durch die Straßen schallt: "Heraus!"            

INFO

Storchentag

Der Storchentag findet am Mittwoch, 22. Februar, in Haslach statt. Die Kinder sammeln sich um 12 Uhr an der Mühlenkapelle und ziehen von dort aus mit dem Storchenvater durchs Städtle. Mit lauten "Heraus"-Rufen fordern sie von den Hausbewohnern ihre Gaben – traditionell vor allem Brezeln und Orangen – ein.