Foto: Symbolfoto: Skolimowska

Vereine im Kinzigtal haben Nachwuchssorgen: Chorsterben soll mit neuen Konzepten begegnet werden.

Mittleres Kinzigtal - Dem Singen werden eine große Zahl positiver Eigenschaften zugeschrieben: Es soll das Immunsystem stärken, Glückshormone ausschütten, und Stresshormone abbauen – und doch haben Gesangvereine und Chöre im Kinzigtal mit Nachwuchsproblemen zu kämpfen.

"Chöre im Kinzigtal haben Nachwuchssorgen – Trend geht zu Projektchören". So lautet die Überschrift eines aktuellen Artikels in der Fuldaer Zeitung. Fuldaer Zeitung? Das ist richtig: Es handelt sich nicht um das Kinzigtal in der Ortenau, sondern um ein gleichnamiges zwischen Vogelsberg und Spessart.

Keine Ausnahmen

So verschieden die geografische Lage auch ist, die Probleme, was den Chorgesang anbetrifft, sind die gleichen. Das hiesige Kinzigtal bildet da keine Ausnahme: Die Männerchöre aus Kirnbach und Oberwolfach haben sich bereits aufgelöst, bei anderen sieht es alles andere als rosig aus. "Wenn nichts nachkommt, ist der Ofen bald aus", brachte es der damalige Vorsitzende Hans Hörtz bei der Hauptversammlung des gemischten Chores Liederkranz Hausach im vergangenen Jahr auf den Punkt. Ein gutes Jahr später hat sich die Lage bei dem Traditionsverein deutlich verändert.

Junger Dirigent

"Nach dem plötzlichen Tod unseres Dirigenten Peter Lohmann standen wir vor dem endgültigen Aus. Denn einige Sänger wollten danach definitiv aufhören", erinnert sich die jetzige Vorsitzende Ursula Schmid an diese schwierige Situation. "Doch nach der Verpflichtung des damals erst 17-jährigen Niklas Schmider als neuen Dirigenten sind alle dabei geblieben. Er sagt uns, wo es lang geht und wird von allen akzeptiert. Im Moment läufts." Zumindest musikalisch, denn was die Zahl der Sänger sowie deren Altersdurchschnitt betrifft, hat sich in den letzten beiden Jahren kaum etwas im Verein verändert. "Die vielen neuen Chöre, wie beispielsweise Jazz- oder Gospelchöre, ziehen die jungen Menschen mehr an als ein Liederkranz", so die Vorsitzende.

Wirtschaftlichkeit

Die abnehmende Zahl aktiver Sänger sorgt zusammen mit dem hohen Altersdurchschnitt aber auch für wirtschaftliche Probleme. Großveranstaltungen, die traditionell Geld in die Vereinskasse spülen, können nicht mehr ausgerichtet werden und das führt auf Dauer zu Ebbe in der Kasse. Nicht wenige Vereine leben mittlerweile von der in den "fetten Jahren" angelegten Substanz.

Ursachen

Woran liegt es, dass immer weniger Menschen Gefallen am Singen in der Gemeinschaft finden? Ein Argument ist die mit der Chorzugehörigkeit untrennbar verbundene Notwendigkeit, die Proben regelmäßig zu besuchen. Vielen jungen Menschen mangele es an Ausdauer und Geduld für eine langwierige und anstrengende Probenarbeit, so die Beobachtungen und Erfahrungen von Kennern der Chor-Szene.

Projektchöre

Durch die verstärkte Gründung von Projektchören wird versucht, dem entgegen zu wirken. Aber allein an den regelmäßigen Proben und Auftritten kann es nicht liegen, denn der Altersdurchschnitt in vielen Musikvereinen im Kinzigtal liegt zum Teil ganz erheblich unter dem der Gesangvereine. Hier muss auch geprobt werden und die Zahl der Auftritte liegt in der Regel über der von Gesangvereinen. Die Liedauswahl edr Chöre könnte da schon eine größere Rolle spielen.

"Heute dominieren seichte Schlager, die im Playback-Verfahren von Nichtsängerinnen und -sängern rund um die Uhr serviert werden", nennt Wilfried Weis, Pressereferent des Chorverbands Kinzigtal und selbst aktiver Sänger eine Ursache für den Nachwuchsmangel und das daraus resultierende Schwächeln vieler Vereine. Da hilft es auch nur bedingt, dass immer mehr Chöre im Kinzigtal ihr Repertoire um Titel bekannter Rock- und Popstars sowie Bands erweitern.

Andere Zielgruppe

Es scheint, als müssten sich die Gesangvereine der Realität stellen und sich von der Vorstellung verabschieden, junge Menschen für ihre Chöre oder auch nur als Zuhörer zu gewinnen. Gesangvereine sind derzeit für diese Altersgruppe "uncool", Begriffe wie Kameradschaft, Liedgut oder Tradition eher Reizworte. Zielgruppe für die Werbung von neuen Sängern könnten da eher junge und jung gebliebene Rentner mit Lust am Singen und an der Gemeinschaft sein.

Grund für Zuversicht

Für zahlreiche Vereine war und ist auch das Integrieren von Frauenchören oder die Bildung von gemischten Chören zumindest vorläufige Überlebensgarantie. Das Wort "Chorsterben" nimmt man beim Verband verständlicherweise nur sehr ungern in den Mund und setzt stattdessen auf neue Ideen und Konzeptionen. "Die Gesangvereine dürfen nicht resignieren. Wir haben allen Grund, mit Zuversicht nach vorne zu schauen", lautet die Devise von Verbandschorleiter Peter Schwörer, der seit fast 50 Jahren im Gesangverein Steinach als Dirigent tätig ist. Entsprechend praxisbezogen sind dann auch seine Lösungsvorschläge. Es gelte, die Strukturen des Einübens und Probens zu ändern und auch die Auftritte. "Es müssen nicht immer nur Jahreskonzerte sein", so sein Credo. Man solle nicht nur in Hallen Konzerte und Auftritte geben, sondern dort, wo Gäste sind und Publikum vorhanden ist. "Solche Auftritte kommen an und bringen für die Sänger mehr Begeisterung".

Statistik

Die Statistik belegt, dass Weltuntergangsstimmung tatsächlich keineswegs angesagt ist. Denn deutschlandweit sank die Zahl der Chöre in den letzten 15 Jahren moderat von 21 912 (2002) auf 21 074 im vergangenen Jahr. 2014 wurde mit 22 600 Chören sogar ein Höchststand erreicht. Und es gibt auch im Chorverband Kinzigtal einige positive Beispiele, was die Entwicklung betrifft. Peter Schwörer nennt da beispielhaft den Männerchor "Bergecho" St. Roman sowie den Männergesangverein "Frohsinn" Reichenbach, der sich seit diesem Jahr Gesangverein Frohsinn Reichenbach nennt – eine schlichte Namensänderung, die aber durchaus Symbolcharakter besitzt.