Gefährten auf und neben dem Platz: Jungunternehmer Matthias Leibitz (links) und Bundesliga-Torwart René Adler Foto: T1tan

Start-up-Unternehmen liefert René Adler die Handschuhe – und bläst zum Angriff auf die Etablierten

Ettenheim/Mainz. "Das war’s, ich hab’ die Schnauze voll!" Der Torwart feuert nach dem Training seine Handschuhe in die Ecke. Vom Schaumstoff auf der Innenseite sind nur noch Krümel übrig. Wieder einmal. Zwei Paar hat er schon verschlissen, die Saison ist noch nicht mal zur Hälfte rum.

So in etwa soll es sich zugetragen haben, im Jahr 2010 in der Spielerkabine des Fußball-Kreisligisten SV Oberweier. Es war der Moment, in dem in Matthias Leibitz der Entschluss reifte, sich seine Handschuhe selbst zu machen. Erst wurde er belächelt, dann gelobt, heute beneidet: Seit Samstag trägt René Adler, Ex-Nationalkeeper und aktuell Torwart des Bundesligisten Mainz 05, offiziell Leibitz’ Produkt an den Händen. Und hat sich in das Unternehmen eingekauft. Zum Auftakt überwies der Fußballer einen sechsstelligen Betrag.

Leibitz sitzt in einem Ettenheimer Café. Flipflops und neonorangene Bermudashorts an Füßen und Beinen, ein großes Radler auf dem Tisch – es ist ein Wochentag. "Ich hab’ ein Start-up-Unternehmen", sagt der 33-Jährige und hebt sein Glas. "Da erwartet man doch nichts anderes, oder?" Die Lockerheit ist nicht gespielt. Leibitz hat seinen "richtigen" Job als Marketingleiter bei einem Maschinenbauer aufgegeben, das Geschäft mit den Handschuhen boomt. Die Bilanz des Spitzentags 2017: 650 verkaufte Paare.

Zwischen dem Kabinenausraster des Amateurtorwarts und dem Einstieg des Profikeepers in dessen Firma liegen sieben Jahre. Sieben Jahre, die sich lesen wie das fiktive Lehrbuch "So schießt mein Unternehmen durch die Decke".

Natürlich beginnt alles in einer Bar. Leibitz und sein ehemaliger Kommilitone aus dem BWL-Studium, Manuel Meier, haben schon ein, zwei Gläser geleert, als auf einem Bierdeckel der erste Business-Plan entsteht. "Nach diesem Abend waren wir Geschäftspartner." Über das Internet suchen sich die beiden eine Fabrik in Pakistan, die ihnen Prototypen nach ihren Vorstellungen näht. Leibitz lässt die ersten 300 Modelle von befreundeten Torhütern testen. "Die Resonanz war super, das bestätigte uns." Der Grund für die Begeisterung der Amateurkicker bricht Leibitz auf zwei Punkte herunter: "Profiqualität zum Niedrigpreis."

Seine Handschuhe werden mittlerweile in denselben Werken in Ungarn und der Ukraine wie die der etablierten Marken produziert. "Die Herstellungskosten sind nahezu identisch." Doch ließen sich die Platzhirsche wie Uhlsport und Nike Sponsoring, TV- und Printwerbung viel Geld kosten. "Adidas zahlt Manuel Neuer 900 000 Euro im Jahr, damit er ihre Handschuhe trägt", sagt Leibitz. "Man muss einige verkaufen, um das wieder reinzuholen."

Die Firma des Jungunternehmers setzt komplett auf das Internet: Homepage, Facebook, Instagram und Youtube kämen bei der Zielgruppe blendend an. "Jeden Tag schicken uns Leute Fotos und Videos, die sie in Aktion mit unseren Handschuhen zeigen." Auch der Verkauf läuft ausschließlich per E-Commerce: "Einzelhändler wollen 50 Prozent auf den Listenpreis, Bock, unsere Handschuhe eher zu verkaufen als die der anderen, haben sie natürlich aber trotzdem nicht."

Unterm Strich bietet Leibitz sein Produkt für 60 Euro an, für die Topmodelle der Konkurrenz muss ein Keeper bis zu 120 Euro berappen. Wo wir wieder am Anfang der Geschichte wären. "Eine Umfrage unter 250 unserer Kunden hat ergeben, dass ein Torhüter in den unteren Klassen im Schnitt viereinhalb Handschuhe pro Saison braucht. Wir machen das Ganze bezahlbar." Bis heute ein, nein, der entscheidende Punkt im Geschäftsmodell.

Genug, um davon zu leben, warf die Firma aber lange Zeit nicht ab. "Bis 2014 war der Umsatz sehr flach", erinnert sich Leibitz. 800 Paar Handschuhe setzte man zu dieser Zeit pro Jahr ab. 40 000 Euro Umsatz. "Nebenher ganz nett, klar, aber wir wussten bald, dass noch mehr geht." Und zwar zu dem Zeitpunkt als ein ganz Großer der Branche auf den Plan trat.

Die Geschäftspartner hatten gerade ihre Firma umbenannt – aus dem "uncoolen und unaussprechlichen" (Leibitz) "Aegiv" war "T1tan" geworden, als eines Tages Leibitz’ Telefon klingelte. Am anderen Ende meldete sich "der Vertreter des wahren Titans". Leibitz schluckte: "Wir hatten uns den Namen noch nicht schützen lassen, ich dachte, jetzt kassieren wir eine fette Abmahnung von Oliver Kahn." Falsch gedacht. Der Titan wollte sich bei "T1tan" einkaufen.

Ende 2014 fuhren die beiden Jungunternehmer nach München. Beim Edel-Thailänder wurde verhandelt. Kahn, sagt Leibitz, "wollte sein Image in Südamerika und Asien nutzen, um unsere Marke zu pushen". Alles schien klar. Doch dann kam die große Stille. "Wir haben weder von Kahn noch von seinem Management jemals wieder etwas gehört", berichtet Leibitz, Anrufe seinerseits wurden ignoriert. "Erst waren wir riesig enttäuscht. Doch dann dachten wir: Wenn Oliver Kahn sich für uns interessiert, müssen wir jetzt richtig ranklotzen. Der Markt war da, die Frage war: Wie kommen wir rein?"

Die Antwort: mit mehr Geld. Leibitz und Meier griffen noch einmal in die eigene Tasche, investierten jeweils 5000 Euro, zusätzlich zu den 20 000, die sie bis dato in "T1tan" gesteckt hatten. Internetauftritt, Marketingstrategie und das Produkt selbst – alles wurde noch einen Ticken professioneller und vor allem aggressiver. Der Einsatz sollte sich bald bezahlt machen.

Es war Anfang 2016, als wieder ein Anruf kam. Wieder war es ein großer Torwart, der auf "T1tan" aufmerksam geworden war. Doch dieses Mal war es einer, der es ernst meinte. "René zeigte sich sofort wahnsinnig interessiert an allem, was wir bisher getan hatten und an dem, was wir noch vorhatten", sagt Leibitz. Adler war bei Facebook über "T1tan" gestolpert und ließ seine Agentur ein Paar ordern, weil er es nach eigenem Bekunden "nicht glauben konnte, dass man zu diesem Preis Qualität bekommt".

Die Skepsis wich schnell, und nach einigen Verhandlungsrunden und tiefer gehenden Gesprächen über die zukünftige Ausrichtung des Unternehmens gab es im April diesen Jahres das wertvolle Autogramm: Adler trägt nicht nur die Handschuhe, er ist auch Gesellschafter bei "T1tan" und entwickelt das Produkt mit. "René ist ein Leuchtturm für uns", ist der Firmenchef überzeugt. "Er wirbt für uns kostenlos zur Primetime." Samstagabends in der Sportschau. Mit dem großen Namen wittert Leibitz das ganz große Geschäft. Soll auf Bundesliga nun Champions League folgen? "Nicht unbedingt, wir bleiben auf der Amateurschiene." In die weite Welt zieht’s "T1tan" dennoch. "Spanien und England sind die Märkte, die wir als Nächstes erschließen wollen", zeigt Leibitz die Richtung an. "Irgendwann wollen wir die Nummer eins in Europa sein." Nicht bei der Präsenz in der Öffentlichkeit und den großen Ligen, nein, beim Absatz will man die Big Player ausstechen.

Ein kühner Plan. Doch der Anfang ist gemacht. Adler hat für "T1tan" seine langjährige Kooperation mit Reusch beendet. Investiert jetzt erst einmal, statt wie bisher zu kassieren. Belächeln sollte man Leibitz jedenfalls nicht. Das haben schon andere getan, damals im Jahr 2010.

INFO

Der "T1tan" erklimmt den Torwart-Thron

Wenn es darum geht, sicher zuzugreifen, genießt Baden-Württemberg großes Vertrauen bei den Bundesliga-Torhütern. Mit "T1tan" stammen vier der acht Handschuh-Lieferanten aus dem Südwesten: Uhlsport aus Balingen am Fuße der Schwäbischen Alb, Erima aus Pfullingen (Kreis Reutlingen) sowie der auch im Wintersport agierende Hersteller Reusch, der in Metzingen auf der Alb gegründet wurde, Anfang Juni seinen Hauptsitz aber aus dem Kreis Reutlingen nach Bozen in Südtirol verlegt hat. Die Ausrüster-Tabelle:

> Uhlsport

Oliver Baumann, TSG 1899 Hoffenheim; Alexander Schwolow, SC Freiburg; Marvin Hitz, FC Augsburg; Ron-Robert Zieler, VfB Stuttgart; Christian Mathenia, Hamburger SV; Rune Jarstein, Hertha BSC Berlin; Lukas Hradecky, Eintracht Frankfurt

> Nike

Roman Bürki, Borussia Dortmund; Timo Horn, 1. FC Köln; Bernd Leno, Bayer 04 Leverkusen; Yann Sommer, Borussia Mönchengladbach; Jiri Pavlenka, Werder Bremen

> Adidas

Manuel Neuer, FC Bayern

> Reusch

Ralf Fährmann, Schalke 04

> Erima

Philipp Tschauner, Hannover 96

> Sells

Peter Gulacsi, RB Leipzig

> Real

Koen Casteels, VfL Wolfsburg

> T1tan

René Adler, FSV Mainz 05